Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
»Der Junge hat mir meinen Ball weggenommen.«
Nach kurzer Überzeugungsarbeit ergatterte ich das Objekt der Begierde.
Conny verstaute den Ball unter dem Kinderwagen, in dem Jana friedlich schlief. »Willst du nicht zum Spielplatz rüberlaufen?«, fragte sie Dominik. »Wir kommen gleich nach.«
Dominik guckte mich schräg an. Kleine Jungs mögen keine fremden Männer neben ihrer Mama. Aber dann siegte die Lust, in einem Stangenelefanten herumzuklettern, über die Eifersucht.
Wir folgten ihm auf dem roten Ascheweg.
»Was hast du von Hennekamp und Dietzelbach gehalten?«, wollte ich wissen.
»Menschlich oder politisch?«
»Beides.«
»Wir hatten nicht viel miteinander zu tun. Dass wir in der Kappenstein-Frage übereinstimmten, war purer Zufall. Ich habe die beiden eher für Opportunisten gehalten, die die Kommunalpolitik als Sprungbrett ansahen.«
»Und warum bist du für die schöne neue Global World ?«
Sie lachte. »Du kennst dich ja aus.«
»Ich war heute Morgen in Kappenstein, zusammen mit der Kämmerin.«
»Mit der Rausch?«
»Sie hat mich als Leibwächter engagiert. Aber behalte das bitte für dich!«
»Was?«
»Die Polizei glaubt übrigens auch, dass es der Mörder auf Anhänger des Kappenstein-Projektes bei den Grünen abgesehen hat.«
»Aber das heißt ja …«
»Dass du ebenfalls gefährdet bist. Genau das heißt es.«
Dominik winkte uns vom Kopf des Elefanten aus zu.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, erinnerte ich.
»Ach, da steckt eigentlich nichts Großes dahinter. Mein Mann war vor einiger Zeit arbeitslos, ein halbes Jahr lang. Seitdem weiß ich, wie wichtig ein Arbeitsplatz ist. Ich denke, heute, bei vier Millionen Arbeitslosen, darf man nicht mehr so rigide sein wie noch vor zehn Jahren. Global World , mag sie auch noch so beschissen sein, bringt immerhin ein paar hundert Leuten Geld und Beschäftigung. Das ist alles.«
Wir schauten zu, wie Dominik bei dem Versuch, vom Elefanten zu klettern, in den Sand fiel.
»Sei bitte vorsichtig!«, sagte ich. »Und wenn ich dir einen Rat geben darf: Ändere deine Position zum Kappenstein-Projekt! Zumindest so lange, bis dieses miese Schwein gefasst ist.«
»Ich werde darüber nachdenken«, antwortete sie leise.
Ich strich ihr über das blonde Stoppelhaar und machte mich auf den Weg.
V
Jutta war sauer, weil ich sofort wieder gehen wollte, nachdem ich sie zu ihrer Wohnung gebracht hatte.
»Ich habe Penne und Pesto gekauft, marinierte Lammsteaks, Salat und Tiramisu zum Nachtisch. Glaubst du, ich hätte mir die Mühe gemacht, wenn ich gewusst hätte, dass du mich damit alleine sitzen lässt?«
»Tut mir leid. Ich bin in spätestens anderthalb Stunden wieder zurück. Wenn du dann schon gegessen hast, wärme ich mir die Nudeln und das Fleisch nochmal auf.«
»Na toll! Wo willst du überhaupt hin?«
»Ich habe eine Verabredung mit Dirk Holthausen.«
»Ist das so wichtig? Immerhin bist du mein Leibwächter und nicht seiner.«
»Es ist wichtig. Außerdem haben wir abgemacht, dass unser Arrangement nur von Montag bis Freitag gilt. Das Wochenende sollte zu meiner freien Verfügung stehen.«
»Mein Mann kommt dieses Wochenende nach Münster. Dummerweise hat ihn heute Abend der Heimatverein in Bad Meinberg zu einem Vortrag eingeladen. Er soll über die Bedeutung der Extern-Steine bei den Germanen reden. Deshalb will er erst morgen früh losfahren.«
»Okay, ich bewache heute Nacht deinen Leib. Und jetzt lass mich meine Arbeit machen.«
Sie zog eine Schnute, verzichtete aber auf weitere Proteste.
Dirk Holthausen zeigte der Kellnerin gerade sein leeres Bierglas, als ich in Carlos’ Café an der Hafenstraße ankam. Carlos hieß in Wirklichkeit Jannis und war Grieche. Er war nach Münster gekommen, um Physik zu studieren. Kurz vor seinem Hochschulabschluss hatte ihn seine Mutter überzeugt, dass er einen richtigen Beruf ausüben und es seinen männlichen Verwandten gleichtun müsse. Daraufhin hatte Jannis eine Kneipe eröffnet.
Ich war schon lange nicht mehr hier gewesen, doch nach dem ersten Augenschein zu urteilen, hatte sich in den letzten fünf Jahren wenig verändert. Vielleicht war die Plastikpalme in der Mitte ein wenig krummer und grauer geworden. Jannis stand hinter der Theke und winkte mir behäbig zu. Sein Bauch hatte ein paar neue Jahresringe abgelagert. Ich winkte zurück und setzte mich zu Holthausen an ein kleines Marmortischchen.
Er musterte mich mit trübem Blick. »Ich habe nicht ganz verstanden, was Sie von mir
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