Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
hoch. »Die ganze Kappenstein-Geschichte war nur ein Vorwand, um mich zu ködern. In Wirklichkeit hast du nie daran geglaubt, dass ein Zusammenhang zwischen den Morden und dem Kappenstein-Projekt besteht.«
»Auszuschließen ist es nicht«, verteidigte sie sich.
»Dieser schwachsinnige Drohbriefschreiber kommt für mich als Täter nicht in die engere Wahl. Abgesehen von den goldenen Fingern …« Ich biss mir auf die Lippe.
»Goldene was?«, schnappte sie.
»Vergiss es!«
Sie packte meine Schulter. »Was meinst du mit goldenen Fingern?«
»Behalt es bitte für dich! Ich habe Stürzenbecher geschworen, dass ich es niemandem verrate. Der Täter hat allen Opfern die Finger der rechten Hand mit Gold eingefärbt. Deshalb ist die Polizei auch sicher, dass hinter den Morden ein politisches Motiv steckt.«
Jutta wurde bleich. »Wir haben Geld genommen, das uns nicht gehörte«, flüsterte sie.
Ich nickte. »Es sieht ganz so aus, als sei deine KPD/ML/O der Schlüssel zu den Verbrechen.«
Wir schwiegen.
Dann nahm ich den Faden wieder auf: »Du hast gesagt, es gab mehrere, die gegen die Selbstbereicherung gestimmt haben. Heiner Kleine-Langen ist also nicht der einzige Verdächtige. Was ist aus den anderen geworden?«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte Jutta. »Es waren zwei. Katja Imhoff und Lars Merten. Zu beiden habe ich direkt nach dem Verkauf der Druckerei den Kontakt verloren. Katja hat Psychologie studiert. Ich nehme an, sie arbeitet als Therapeutin. Lars war recht merkwürdig.«
»Inwiefern?«
»Es fing schon vorher an, etwa ein halbes Jahr, bevor es zum Krach kam. Er hatte Konzentrationsschwierigkeiten, konnte sich manchmal nicht mehr erinnern, worüber wir fünf Minuten zuvor geredet hatten. Ich dachte, dass es vielleicht ein psychisches Problem sein könnte, dass ihn die ganze Situation überforderte. Er wollte davon nichts wissen und lehnte es ab, zu einem Arzt zu gehen. ›Ich bin ein bisschen vergesslich‹, sagte er, und damit war die Sache für ihn erledigt. Aber er vertraute Heiner voll und ganz, und deshalb war es für ihn keine Frage, auf wessen Seite er sich bei der entscheidenden Diskussion stellte.«
»Hmmm«, machte ich.
Jutta lächelte. »Der Meisterdetektiv denkt.«
»Ich halte es für das Beste, wenn wir Stürzenbecher einweihen.«
»Auf keinen Fall. Dein Stürzenbecher mag ja ein integerer Mensch sein. Doch sobald die alte Geschichte in den Akten auftaucht, sickert etwas durch. Bei einer so großen Behörde gibt es immer Löcher.«
Ich dachte daran, wie Lewandowski reagieren würde. Vermutlich im Sinne von Juttas schlimmsten Befürchtungen.
»Und was stellst du dir vor? Soll ich den Mörder finden, ihn erschießen und im Wald vergraben, damit Gras über die Sache wächst?«
Sie nahm meine Hand und drückte sie an ihren Mund. »Dir wird schon etwas einfallen.«
Mir fiel überhaupt nichts ein.
Sie küsste meine Finger. »Ich mag dich, Georg.«
Mit einem Griff hatte sie die Haarspange entfernt, das lange graue Haar fiel ihr auf die Schultern. Dann rutschte sie in meine Ecke des Sofas und lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter.
»Was ist das? Ein Bestechungsversuch?«
»Nein. Eine spontane Eingebung.«
Ich spürte ihren Mund an meiner Wange. Mehrere Gedanken schossen mir gleichzeitig durch den Kopf. Dass sie verheiratet war. Dass Gefühle den Fall nur komplizieren würden. Dass wir wider alle Vernunft handelten.
Ihr Mund hatte meinen gefunden, ihre Zunge spielte zwischen meinen Zähnen. Ich fühlte, wie meine Gier wuchs. Monate unfreiwilliger Askese forderten ihren Tribut. Ich war ausgehungert und lechzte nach Berührung, nach feuchter Haut, nach trivialem Sex.
Ich streichelte ihr Gesicht, die Wangenknochen entlang bis zu dem vorspringenden Kinn. Dann zog ich ihre Bluse aus der Hose, meine Hand glitt über ihren Körper. Ihre Haut fühlte sich warm und samten an. Jutta nestelte an meinem Hemd.
»Lass uns wenigstens die Vorhänge zuziehen!«, flüsterte ich.
Sie kicherte.
Wir fielen wortlos übereinander her. Es hatte nichts mit Verliebtheit und großen Gefühlen zu tun. Unsere Körper brauchten keine zusätzliche Stimulation. Ich nahm sie von vorn und von hinten. Sie schrie, ich keuchte.
Schweißnass und atemlos lagen wir nebeneinander. Noch immer sprach keiner von uns. Wir wollten nicht aufhören. Ein einziger ausgesprochener Gedanke hätte die Atmosphäre zerstört, uns in eine Realität zurückgeführt, in der es von Konventionen, Regeln und Mördern wimmelte.
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