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Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Titel: Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Fragen, die die chinesische Innenpolitik betrafen, nicht mit der Mehrheitsmeinung unserer Partei, das heißt der Linie des Politbüros, einverstanden waren. Also haben wir unsere eigene Partei gegründet. Sie bestand in der ganzen Bundesrepublik nur aus wenigen Hundert Mitgliedern.« Sie lächelte verhalten. »Von heute aus gesehen wirken die damaligen Diskussionen absurd und weltfremd. Wir konnten stundenlang darüber debattieren, ob Enver Hoxha, der Führer der albanischen Kommunistischen Partei, der größte lebende Marxist-Leninist war oder nicht. Aber davon, was unsere Nachbarn bewegte, die eine Etage unter uns wohnten, hatten wir keine Ahnung. Sie waren kleinbürgerliche Spießer, und damit hatte es sich. Überhaupt bestand die Welt zum größten Teil aus Feinden. In erster Linie die anderen K-Gruppen, die wir bekämpften oder mit denen wir Zweckbündnisse schlossen, um den Spartakus oder die Jusos auszuschalten. Denn natürlich hielten wir uns, wie alle anderen auch, für die einzig wahre Avantgarde der Arbeiterklasse. Wir mussten die Arbeiterklasse und die Studenten nur noch davon überzeugen. Wir lebten für die Partei und in der Partei. Die Partei regelte alles, vom Tagesablauf bis zu der Frage, ob eine Genossin ein Kind kriegen durfte oder nicht. Von frühmorgens bis spätabends waren wir im Dienst der Partei unterwegs. Jeden Tag gab es Sitzungen, in denen die Parteidirektiven besprochen wurden, wir haben Flugblätter geschrieben und verteilt, Stände aufgebaut, Parteizeitungen verkauft, Studenten in den Hörsälen und Arbeiter vor den Fabriktoren agitiert. Ich hatte ein dickes Notizbuch, in dem jeden Tag mindestens zehn Termine standen. Falls es weniger waren, wurde ich von meinen Genossen wegen mangelndem Arbeitseinsatz kritisiert. Privatleben gab es überhaupt nicht. Ein Kinobesuch oder ein Abend in einer Kneipe galten als bourgeois. Wenn man sich mal mit einer alten Freundin traf, die nicht zur Partei gehörte, musste man es heimlich tun. Die Selbstverleugnung ging so weit, dass wir die Jeans, die wir früher geliebt hatten, als Produkt des US-Imperialismus verpönten. Die Männer trugen graue Flanellhosen und die Frauen Röcke. Wir waren selbst die größten Spießer geworden und merkten es nicht einmal.« Sie schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. »Am allerschlimmsten waren die Reisekader, Berufsfunktionäre der Partei, die mit einem schwarzen Aktenköfferchen anreisten und den Ortsgruppen die neuesten Richtlinien des Politbüros verklickerten. Sie benahmen sich wie Chefs, ließen sich Bericht erstatten und machten jeden herunter, der es wagte, eine abweichende Meinung zu äußern. Kritik und Selbstkritik hieß diese Art des Mobbings.« Sie holte tief Luft. »Du hast doch auch in dieser Zeit studiert.«
    »Ja.« Ich erinnerte mich an die verhärmten K-Gruppler, die durch die Seminare schwärmten und von der Weltrevolution faselten. »Ich war in einer Basisgruppe. Sie hieß FROST, die Abkürzung für Fachschaftsrat oberschlauer Studenten. Wir bezogen uns auf die antiautoritäre Seite der Studentenbewegung. Konkret hieß das, dass wir meist bis mittags im Bett lagen, am Nachmittag mal in der Uni vorbeischauten und den Abend und die frühen Morgenstunden in der Kronenburg , der ersten und einzig wahren münsterschen Sponti-Kneipe, verbrachten. Für Parteisoldaten von deinem Schlage stellten wir natürlich ein rotes Tuch dar. Der KBW, der KSV und wie sie alle hießen drohten uns für den Fall einer von ihnen siegreich beendeten Revolution die härtesten Konsequenzen an. Ich glaube, Umerziehung im Arbeitslager war noch die gnädigste Lösung.«
    Jutta lachte. »Zum Glück hat die Revolution noch ein bisschen auf sich warten lassen.« Sie wurde wieder ernst. »Wir lebten wirklich in einer Scheinwelt. Wir waren, zumindest am Anfang, tatsächlich davon überzeugt, dass wir in einigen Jahren die Macht übernehmen würden. Später ersetzte die Parteidisziplin das eigene Denken. Niemand wagte, Zweifel an dem zu äußern, was wir taten, denn das hätte bedeutet, dass die anderen ihn fertig machen würden. Die Kontrolle war nahezu perfekt. Fast alle sozialen Kontakte zu Menschen außerhalb der Partei hatten wir abgebrochen. Zu den Eltern sowieso, die waren ja Mitglieder der Ausbeuterklasse, aber auch zu den alten Freunden, die nicht mehr verstanden, was wir da machten. So blieben nur noch die Parteigenossen. Ich denke, in gewisser Weise ähnelte unser damaliges Leben den Strukturen einer Sekte. Je

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