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Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Titel: Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Studentenbewegung, vom Renegaten Rudi Dutschke bis zum Sektierer Joscha Schmierer. Dutschke meint, er müsse Lenin auf die Füße stellen. Was weiß der schon von Lenin? Faselt etwas von halbasiatischer Produktionsweise. Und zeigt auch noch Verständnis für den Reaktionär Solschenizyn. Dagegen …« Er schien den Faden verloren zu haben.
    »Schmierer«, half ich ihm weiter.
    »Joscha Schmierer hat mit dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands die revolutionäre Bewegung gespalten, weil er niemanden neben sich ertragen kann. Schon in der Frühphase der Studentenbewegung war er ein hemmungsloser Individualist.«
    Ich blickte zum leeren Schreibtisch. »Und wo arbeitest du?«
    Merten grinste verschmitzt. »Glaubst du, ich lasse den Text offen herumliegen? Die Ärzte und Pfleger stehen alle im Dienst der Bourgeoisie.« Plötzlich erschrak er. »Sind Sie etwa auch ein Arzt?«
    »Nein, ich bin ein Freund von Katja Imhoff und Heiner Kleine-Langen.«
    »Katja und Heiner, das sind Genossen von mir, gute Genossen.«
    Ich nickte zum Mao-Bild hinüber. »Wie lange ist Mao eigentlich schon tot?«
    »Das weißt du nicht?«, empörte er sich. »Er ist letztes, nein, vorletztes Jahr gestorben. Ein schlimmer Schlag für die Arbeiterbewegung. Ich hoffe, dass Jiang Qing sein Werk fortsetzen kann.«
    »Jiang Qing?«, wunderte ich mich.
    »Maos Witwe. Sie hat schon in der Großen Proletarischen Kulturrevolution an seiner Seite gestanden. Zusammen mit Wang Hongwen, Zhang Chunqiao und Yao Wenyuan führt sie jetzt die Partei.«
    »Du kennst dich ja gut aus«, staunte ich.
    »Natürlich. Die Kommunistische Partei Chinas ist eng mit unserer Partei befreundet.«
    »Du meinst die KPD/ML/O?«
    »Na klar. Es gibt keine bessere Avantgarde des Proletariats.«
    »Welches Jahr haben wir denn jetzt?«, fragte ich.
    »1978«, antwortete er spontan. »Du bist ein bisschen durcheinander, was? Na ja, ich bin manchmal auch etwas vergesslich. Was man nicht im Kopf hat, muss man im Regal stehen haben, sage ich immer. Hauptsache, man weiß, wo man nachschlagen kann.«
    Wir lachten gemeinsam.
    »Um noch mal auf Katja und Heiner zurückzukommen …« begann ich erneut.
    »Das sind Genossen von mir.«
    »Ich weiß. Und was ist mit Dirk Holthausen und Martin Hennekamp?«
    »Das sind auch Genossen.«
    »Berthold Dietzelbach, Jutta Rausch, Conny Guttweller?«
    »Die ersten beiden kenne ich, das sind ebenfalls Genossen. Conny Guttweller ist mir unbekannt. Es gibt eine Conny Wolters in unserer Ortsgruppe.«
    »Conny hat doch geheiratet.«
    »Nein, das wüsste ich«, lachte er. »Conny hält nichts von dieser bürgerlichen Zeremonie.«
    »Gibt es nicht einen Streit in eurer Gruppe?«, bohrte ich weiter.
    »Streit, warum? Wir haben ein gemeinsames Ziel, die revolutionäre Veränderung der BRD. Dem haben sich alle unterzuordnen.«
    »Dietzelbach, Hennekamp und Holthausen sind tot«, sagte ich.
    Er wurde bleich und setzte sich aufrecht hin. »Was redest du da? Du musst dich irren. Ich habe alle gesehen.«
    »Wann?«
    »Bei unserer letzten Sitzung, vor einer Woche oder so.« Er entspannte sich. »Du verwechselst da was. Rainer ist gestorben. Er war ein guter Genosse. Er hat sein Vermögen der Partei überschrieben. Wir haben davon eine Druckerei gekauft.«
    »Besitzt ihr die Druckerei immer noch?«, hakte ich nach.
    »Sicher. Die Druckerei ist ein wichtiges Instrument der Propaganda. Wir drucken im Auftrag des Zentralkomitees für viele Ortsgruppen in der BRD.«
    »Ich habe gehört, dass einige aus der münsterschen Gruppe die Druckerei verkaufen wollen.«
    »Unsinn. Das würde die Partei nicht zulassen.«
    »Was hältst du eigentlich von Helmut Kohl?«, wechselte ich das Thema.
    »Helmut Kohl?« Er stutzte. »Der Fraktionschef der CDU im Bundestag?«
    »Nein. Helmut Kohl ist Bundeskanzler.«
    Er schüttelte den Kopf. »Helmut Schmidt ist Bundeskanzler, das weiß doch jedes Kind. Nicht, dass es einen großen Unterschied zwischen ihnen geben würde, beide sind Marionetten des Kapitals.«
    »Helmut Kohl war Bundeskanzler, als 1989 die Mauer in Berlin fiel.«
    Merten starrte mich entgeistert an. »Bist du Hellseher? Die Sowjetunion kann es sich gar nicht leisten, die Mauer aufzugeben. In Moskau und Ostberlin ist der Marxismus-Leninismus so verkommen, dass die Menschen scharenweise in den Westen flüchten würden, wenn die Grenzbefestigungen wegfielen.«
    Ich gab es auf. »Ich soll dir schöne Grüße von Katja Imhoff bestellen.«
    »Danke.« Er guckte mich prüfend an.

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