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Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Titel: Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Ost-West-Konflikt und die postkoloniale Ausbeutung der Dritten Welt sollen ebenfalls eine Rolle spielen.«
    »Sehr interessant«, bemerkte ich.
    Jutta warf mir einen warnenden Blick zu.
    Ein Klingeln, das den nahenden Beginn der Vorstellung ankündigte, bewahrte uns vor weiteren Ausführungen der Kulturdezernentin. Die rund hundert Zuschauer drängelten in den Theatersaal, der von einer hohen Holzdecke überwölbt wurde.
    Das Stück spielte in der Toilette eines Kaufhauses. Der Klowächter war, wie sich später herausstellte, ein Exstasimann, der vor seinen Opfern in den Westen geflüchtet war und seinen neuen Job als eine Art tätige Buße betrachtete. Einer der von ihm Drangsalierten war ihm trotzdem auf der Spur und versuchte ihn durch immer neue Provokationen zu enttarnen. Ebenso frequentierte ein alter Nazi die Toilette, der sich von einer jungen Jüdin ans Abflussrohr anketten und auspeitschen ließ. Gegen einen entsprechenden Aufpreis öffnete der Klowächter die Verbindungstür zwischen Herren- und Damentoilette aber auch für den gut aussehenden Gigolo der Frau des Kaufhausgeschäftsführers, die sich hier, geschützt durch die Klospülung und in Sicherheit vor ihrem rasend eifersüchtigen Ehemann, den Ehefrust von der Seele vögelte. Ein Schwarzer verbarrikadierte sich vor einer Horde rechtsradikaler Jugendlicher. Zwei alternde Schwule betrieben Klappensex. Frustrierte Hausfrauen fantasierten zwischen den Stuhlgängen von kommenden Abenteuern. Die eine träumte davon, in Grönland einem nach Lebertran riechenden Eskimo auf Robbenfellen näher zu kommen, die andere malte aus, wie sie ihren Ehemann mithilfe einer Kreissäge in gefrierbeutelgroße Stücke zerlegen wollte. Der Kaufhausdetektiv jagte eine jugendliche Ladendiebin und machte ihr unsittliche Angebote. Natürlich war, wie bei allen modernen Theaterstücken, viel von kacken, pissen und ficken die Rede. Am Ende hatte der Exstasimann von dem Treiben die Nase voll und jagte die Toilette mit einer Bombe in die Luft. Der Kaufhausgeschäftsführer war so betroffen, dass er Selbstmord beging. Die Zuschauer waren auch betroffen und froh, noch einmal davongekommen zu sein.
    Anschließend gab es eine Premierenfeier mit kaltem Buffet und Sekt oder Orangensaft. Nach all den Fäkalien bekam man einen völlig neuen Blick auf Käseschnittchen und Kartoffelsalat. Jutta und ich standen wieder mit der Kulturdezernentin und ihrem Gatten zusammen, als eine Reporterin von Radio Kiepenkerl der Kulturdezernentin ihr Mikro unter die Nase hielt und nach dem ersten Eindruck fragte.
    »Ein Stück, das den Zuschauern alles abverlangt«, sagte die Kulturdezernentin, während sie gleichzeitig Kartoffelsalat kaute. »Es macht beispielhaft die Einsamkeit der Menschen deutlich, die Anonymität der modernen Großstädte.«
    »Und was sagen Sie zu dem Ort der Handlung?«
    »Nun, ich denke, der Autor hat das symbolhaft gemeint. Wo lässt sich der Überfluss unserer Wohlstandsgesellschaft besser verdeutlichen als an dem Ort, an dem sich aller Luxus in ein stinkendes Etwas verwandelt?«
    »Wie fandest du das Stück?«, fragte Jutta. Sie hatte den Wagen in der Garage abgestellt und schloss die Garagentür zu.
    »Mir fehlte das Happy End.« Ich bildete mir ein, einen Mann gesehen zu haben, der hinter einer Hausecke hervorlugte. Aber ich konnte mich auch getäuscht haben.
    »Im Leben gibt’s auch selten ein Happy End.«
    Die Straße war menschenleer. Unsere Schritte hallten zwischen den Häuserwänden. Ich schob Jutta in den Hauseingang und blickte mich um. »Ich finde, die Kunst sollte uns für das entschädigen, was uns im Leben entgeht.«
    Wir stiegen die Treppe hinauf.
    »Dein Kunstverständnis ist etwas antiquiert, lieber Georg.«
    »Mag schon sein. Meine Kindheit war geprägt von Flipper und Bonanza . Da gab’s immer ein Happy End. Einige Szenen haben mir allerdings ganz gut gefallen. Zum Beispiel die mit dem Kaufhausdetektiv. Ich hatte mal einen Kollegen, der war genauso.«
    Ich inspizierte die Wohnung und konnte keine Anzeichen eines unangemeldeten Besuches entdecken.
    Jutta kam mit einem Glas Rotwein aus der Küche. Ich bekam den obligatorischen Apfelsaft.
    »Georg, wir müssen reden.«
    »Nur zu«, ermunterte ich sie.
    »Es geht um gestern Abend, wie du dir denken kannst. Es war sehr schön, ich meine, ich mag dich sehr gern, und ich habe es wirklich genossen. Aber – es darf sich nicht wiederholen. Ich liebe meinen Mann, und ich möchte meine Ehe nicht gefährden.«
    Ich

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