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Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Titel: Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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»Sind Sie Arzt?«
    »Nein. Ich bin ein Freund von Katja.«
    »Katja ist eine gute und fleißige Genossin.«
    Das reizte mich zu einem letzten Versuch. »Wie alt ist Katja im Moment?«
    Er überlegte. »Einundzwanzig. Ja, sie ist vor einigen Monaten einundzwanzig geworden.«
    Ich verabschiedete mich von Merten und verließ das Zimmer. Im Regal standen lauter blaue und rote Bände: Marx, Engels, Lenin, Mao. Ein paar davon besaß ich auch, allerdings lagerten sie inzwischen im Keller. Bei den Mäusen ging der Historische Materialismus durch den Magen.
    Ich fand Doktor Liesenkötter in der Teeküche.
    »Na, wie war’s?«, fragte sie munter.
    »Wir haben uns über die alten Zeiten unterhalten.«
    »Das wird Merten sicher Freude gemacht haben. Er blüht richtig auf, wenn man ihn auf seine politische Arbeit anspricht.«
    »Aber es ist auch erschreckend. Er redet wie ein Automat.«
    Sie nickte. »Das ist so bei Menschen mit Amnesie. Sie wirken, wie soll ich sagen, innerlich hohl. Das Bewusstsein – oder wenn Sie so wollen: die Seele – des Menschen ist eine Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Fallen Gegenwart und Zukunft weg, ist der Mensch von seinen Gefühlen abgeschnitten.«
    Ich wollte wissen, ob es die Möglichkeit gebe, dass sich das Gehirn regenerieren könne.
    »Nein. Statistisch gesehen, ist die Wahrscheinlichkeit eins zu tausend. Sehen Sie, das Korsakow-Syndrom kann verschiedene Ursachen haben. Es kann durch einen Gehirntumor, durch Kopfverletzungen oder durch übermäßigen Drogen-, insbesondere Alkoholgenuss hervorgerufen werden. Bei Kopfverletzungen, zum Beispiel aufgrund eines Autounfalls, gibt es die Chance einer vollständigen Heilung. Dem Patienten fehlen hinterher nur einige Tage, Wochen oder Monate im Bewusstsein. Im Fall von Lars Merten« – sie stockte, weil ihr die ärztliche Schweigepflicht einfiel – »sehe ich diese Heilungschance nicht. Man hat früher versucht, sein Erinnerungsvermögen durch verschiedene therapeutische Maßnahmen zu trainieren. Es war zwecklos. Schließlich hat man alle Bemühungen in dieser Richtung aufgegeben. Er erwies sich, wie wir so schön sagen, als therapieresistent.«
    »Verlässt er manchmal die Klinik?«, erkundigte ich mich.
    »Selten. Er hat gelernt, sich auf dem Klinikgelände zurechtzufinden. Wir nennen das implizites Lernen, es ist kein bewusster, reflektierter Vorgang. Außerdem arbeiten wir mit Orientierungshilfen. Sie haben sicher die Fotos an den Türen gesehen. Sie dienen nicht nur der Verschönerung, sondern auch dazu, dass die Bewohner ihre Zimmer wiederfinden. Aber außerhalb des Klinikgeländes würde Merten hoffnungslos verloren sein. Schon nach kurzer Zeit wüsste er nicht mehr, wo er sich befindet, was er vorhat und wo er wohnt. Allerdings holt ihn seine Familie zu Weihnachten und anderen Gelegenheiten ab, und er verbringt ein paar Tage zu Hause. In letzter Zeit kümmert sich ein Zivildienstleistender verstärkt um ihn, die beiden fahren manchmal in die Stadt.«
    Ich horchte auf. »Was machen sie in der Stadt?«
    »Nichts Besonderes, soviel ich weiß. Es kommt uns nur darauf an, dass sich Merten bewegt. Sonst liegt er nämlich von morgens bis abends träge auf seinem Bett.«
    Ich bedankte mich bei Doktor Liesenkötter. Bevor ich die Station verließ, schaute ich noch einmal in Lars Mertens Zimmer. Er lag in derselben Haltung auf dem Bett, in der ich ihn eine halbe Stunde zuvor angetroffen hatte.
    »Hallo Lars!«, sagte ich.
    »Hallo!« Er guckte mich neugierig an.
    »Erkennst du mich nicht wieder?«
    Für einen Moment wirkte er verwirrt.
    »Ich war vor zehn Minuten hier.«
    »Na klar«, lachte er. »Du bist ein neuer Patient, stimmt’s? Hat dir die Liesenkötter schon ihre berühmten bunten Pillen aufs Auge gedrückt? Die grünen kannst du gleich wegwerfen, die wirken nämlich überhaupt nicht.«
    »Nein, ich bin der Bruder von Martin Hennekamp.«
    Merten strahlte. »Martin ist ein Genosse von mir. Grüß ihn, wenn du ihn siehst!«
    Ich versprach nichts Unmögliches.
    Ohne dass ich es jemandem verraten hätte, war Lars Merten mein Geheimfavorit gewesen. Der Mann im Hintergrund, ein bisschen verrückt, oder gerade verrückt genug, um skrupellos zu morden. Aber der Kranke, den ich kennengelernt hatte, schien mir nicht in der Lage, drei Morde zu planen und eiskalt auszuführen.
    Also musste ich noch einmal zum Anfang, die Karten neu mischen. War es doch Heiner Kleine-Langen? Oder brachte Stürzenbechers Foto- und Geldspur den

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