Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
Er überragt unsere Provinzfürsten um Haupteslänge.«
»Sie bewundern ihn?«
»Ich kenne hier jeden, verstehen Sie, jeden, der etwas zu sagen hat. Und wissen Sie, warum ich für meine Arbeit keinen Rekorder brauche?« Er beugte sich zu mir herüber und senkte seine Stimme. »Im Vertrauen und unter uns: Weil ich froh bin, wenn ich aus dem Gestammel der Honoratioren zwei oder drei zitierfähige Sätze zusammenbasteln kann.« Er lehnte sich zurück. »Aber Gespräche mit dem Grafen sind die Highlights meiner Tätigkeit. Ich freue mich jedes Mal darauf. Der Graf ist humorvoll, tolerant und weitblickend. Wenn es kein Widerspruch in sich wäre, würde ich sagen: der einzige Weltbürger, den wir haben.«
»Und trotzdem wird er terrorisiert und erpresst.«
»Na ja, der Graf hat noch eine Eigenschaft, die ihn heraushebt.«
»Und die wäre?«
»Er ist reich.«
Mehring stand auf. »Ich muss mal ein paar Fotos machen.«
»Vom blonden Mittelstürmer?«
»Sie haben es erfasst. Spätestens zur Halbzeit wird er ausgewechselt. Ein ganzes Spiel hält der nicht durch.«
Am Ende siegte TuS Disselburg mit drei zu zwei. Die Disselburger Eltern waren überglücklich, die Eltern der gegnerischen Mannschaft schimpften über den Schiedsrichter. Die Spieler nahmen das Ergebnis gelassener. Auf dem Weg zur Kabine interessierten sie sich mehr für die versprochenen Belohnungen in Form von Eis und Cola.
Mehring setzte mich am Parkplatz ab. Unter dem Scheibenwischer meines Autos klebte ein Knöllchen. Für das Überschreiten der Parkdauer musste man in Disselburg genauso viel zahlen wie in Münster.
Der Graf hatte sich bereits in seine Privaträume zurückgezogen. Er bat mich in die Bibliothek, die meiner Vorstellung von Schloss erheblich näher kam als sein Büro. Dicht gedrängt und die Patina von Jahrhunderten ausstrahlend, stapelten sich in Leder gebundene Bände bis an die fünf Meter hohe Stuckdecke.
»Wir haben im achtzehnten Jahrhundert den Bestand eines Klosters übernommen«, erklärte der Graf, als er meine Bewunderung bemerkte. »Viele Bücher stammen aus dem dreizehnten bis fünfzehnten Jahrhundert, darunter einige wertvolle Handschriften.«
Wir setzten uns an den kalten Kamin.
»Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Nein.«
»Aha.« Sein Gesicht blieb neutral.
»Ich habe einige Fragen. Man hat mir erzählt, dass Sie reich seien.«
»Die Leute übertreiben maßlos.«
» Wie reich sind Sie denn?«
»Spielt das eine Rolle für Ihre Arbeit?«
»Sehen Sie, Herr zu Schwelm-Legden, Reichtum schafft nicht nur Neider, er führt gelegentlich auch dazu, dass sich Menschen benachteiligt oder ausgenutzt fühlen.«
»Wollen Sie mir unterstellen ...«
»Ich will Ihnen gar nichts unterstellen. Möglicherweise ahnen Sie ja nicht, wem Sie indirekt auf die Füße getreten sind. Bei der Suche nach einem Motiv für die Anschläge muss ich solchen Dingen nachgehen.«
»Na schön.« Er seufzte. »Ich betrachte mich übrigens nur als Verwalter des Familienbesitzes. Persönlicher Reichtum stellt für mich keinen Wert dar.«
Vermutlich war er auch nie in die Verlegenheit gekommen, sich Sorgen um seine Existenz zu machen, so wie gewisse arme Schlucker, zum Beispiel der, der ihm gegenübersaß.
»Der Wert des Schlosskomplexes ist schwer zu bestimmen, heutzutage kann man Schlösser nicht so leicht verkaufen. Das Museum dient jedenfalls nur dazu, das Personal und einen Teil der Instandhaltung zu finanzieren. Anders sieht es mit dem Hotel auf der Vorburg aus. Die Verpachtung wirft eine erkleckliche Summe ab. Außerdem besitzen wir noch einige Ländereien, die zum Teil ebenfalls verpachtet sind.«
»An wen?«
»An Bauern, die darauf Landwirtschaft betreiben.«
»Und der Rest?«
»Beim Rest handelt es sich um Forstgebiete. Ich betreibe in Eigenverantwortung Forstwirtschaft und vergebe Jagdrechte.« Er lächelte. »Manchmal jage ich auch selbst, zusammen mit Freunden.«
»Ich dachte, Sie seien ein Naturschützer.«
»Das ist kein Widerspruch, Herr Wilsberg. Ohne Kontrolle des Wildbestandes werden Bäume und Pflanzen geschädigt.«
Ich nickte. »Insgesamt, wie hoch würden Sie den Wert des Familienbesitzes taxieren?«
»Sie wollen eine Marke?« Er überlegte kurz. »Fünfzehn bis zwanzig Millionen, würde ich sagen.«
Jedenfalls genug, um nicht über persönlichen Reichtum nachdenken zu müssen.
IV
Koslowski saß neben mir im Auto, die Gesichtshaut so transparent weiß, dass die Schädelknochen durchschimmerten. Hinter uns heulte
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