Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
bequatschen lassen?«, jammerte Stürzenbecher. »Ich hätte noch ein paar glückliche Jahre bis zur Pensionierung verleben können, ohne dass sich alle über mich lustig machen.«
»Da ist was«, sagte ich, nachdem ich die Berichte überflogen hatte.
»Hör auf!«
»Alle vier Frauen hatten Osteoporose.«
»Na und? Soweit ich weiß, ist das eine verbreitete Krankheit unter alten Frauen.«
»Findest du das nicht merkwürdig?«
Stürzenbecher schnaubte. »Bitte verwende dieses Wort in meiner Gegenwart nicht mehr! Ich bin deine Ahnungen und Vermutungen leid. Sie stehen mir bis hier.« Er zeigte mit der Handkante, bis wohin sie ihm standen.
»Und was ist mit dem Anschlag auf mich? Kentrup war's nicht, die habe ich nämlich beschattet. Wer war der Anrufer, der mich bedroht hat? Wer verfolgt mich?«
Stürzenbecher beugte sich vor. »Bei den dreien dürfte es sich vermutlich um ein und dieselbe Person handeln. Ich tippe mal auf einen Verwandten oder Freund der Kentrup. Wahrscheinlich hast du dich bei ihrer Beschattung so ungeschickt angestellt, dass sie dich bemerkt hat. Also hat sie jemanden gebeten, dir einen Schreck einzujagen. Das ist alles. Hast du in den letzten Tagen den Verfolger gesehen oder einen neuen Anruf erhalten?«
»Nein«, gab ich zu.
»Siehst du! Die Kentrup sollte geschützt werden. Mit ihrer Verhaftung hat sich die Sache erledigt.« Stürzenbecher lehnte sich zurück. »Dass sie die Diebstähle gestanden hat, ist der einzige Lichtblick bei der ganzen Veranstaltung. Die Obduktionen werden ausschließlich mit dem Verdacht begründet, sie könnte die Frauen ermordet haben. Thalheim bleibt außen vor. Das ist die offizielle Version, auf die ich mich mit dem Staatsanwalt geeinigt habe. Punkt. Aus.«
Ich zückte meine letzte Karte: »Jessica Wiedemann hat Thalheim erpresst.«
»Wer sagt das?«
»Eine sichere Quelle. Den Namen kann ich nicht nennen, noch nicht.«
Stürzenbecher verdrehte die Augen. »Du machst mich wahnsinnig, Wilsberg! Was kann deine sichere Quelle bezeugen? Und ich rede hier nicht von Ahnungen, sondern von einer vereidigten Aussage vor Gericht.«
»Dass Jessica in nächster Zeit eine Menge Geld erwartete.«
»Ist das alles?«
»Ja.«
Der Hauptkommissar stand auf. »Ich mache dir einen Vorschlag, Wilsberg: Fahr ein paar Tage ans Meer oder ins Sauerland! Nimm ein Buch mit, erhol dich, denk an die schönen Dinge des Lebens. Aber tu mir einen Gefallen!«
»Welchen?«
»Ruf mich nicht an und komm auch nicht vorbei, ja?«
»Was hat Stürzenbecher gesagt?«, fragte Franka.
»Dass ich ins Sauerland fahren soll.«
»Ist es so schlimm?«
»Noch schlimmer.« Ich erzählte ihr, was bei den Obduktionen herausgekommen war.
»Und was machen wir jetzt?«, erkundigte sich meine Assistentin.
Ich ließ mich in meinen Sessel fallen. »Wir sind noch nicht am Ende. Es gibt noch eine Zeugin. Sie muss einfach reden, koste es, was es wolle.«
Ich griff nach dem Telefonbuch. Die Sprechstundenzeit war längst vorbei. Aber Yvonne Krämer, Jessicas Kollegin bei Doktor Thalheim, nahm nicht ab.
XVII
Nachdem ich es am Abend noch ein paarmal vergeblich probiert hatte, schickte ich am nächsten Morgen Franka vor. Sie rief in der Praxis von Doktor Thalheim an, gab sich als Freundin von Yvonne Krämer aus und bat darum, dass man Yvonne ans Telefon holen möge.
Yvonnes Kollegin war peinlich berührt, wie ich am Lautsprecher mithörte: »Sie wissen es noch gar nicht?«
»Was?«, fragte Franka.
»Yvonne hatte einen Unfall. Sie ist von einem Auto angefahren worden.«
»Nein!« Franka brauchte ihr Entsetzen nicht zu spielen. »Ist sie ...«
»Sie ist noch glimpflich davongekommen«, beruhigte die Arzthelferin. »Ein Bein- und mehrere Rippenbrüche. Es hätte schlimmer ausgehen können.«
»Welches Krankenhaus?«, flüsterte ich.
»Kann ich sie besuchen?«, fragte Franka.
»Es geht ihr den Umständen entsprechend«, sagte die Arzthelferin. »Sie liegt in der Raphaelsklinik und wird sich bestimmt über jeden Besuch freuen.«
Die Raphaelsklinik stand mitten in der Innenstadt, ein alter, abschreckender Kasten, der einen jeden Moment daran erinnerte, dass Krankheit und Tod nicht zu den angenehmen Begleiterscheinungen des Erdendaseins gehörten.
Ich nahm nicht an, dass Yvonne sich über meinen Besuch freuen würde, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Mein Klopfen an der Tür, deren Nummer mir eine Schwester am Empfang verraten hatte, hallte in dem penetrant nach Desinfektionsmittel
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