Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
das erste Kind seiner eigentlichen Bestimmung zuführt. Bei den Wiedemanns hatte es dieses Kind nie gegeben, aber die spartanische Einrichtung war geblieben.
Ich kontrollierte, ob der Computer richtig angeschlossen war, und schaltete ihn ein. Er tat, wie es Stürzenbecher ausgedrückt hatte, keinen Mucks. Nach einigem Suchen fand ich einen Schraubenzieher, mit dem ich das Gehäuse aufschraubte. Dann wusste ich, warum der Computer nicht funktionierte: Jemand hatte die Festplatte mitgenommen.
Später, zurück im Büro, wählte ich die Nummer einer kunstbegeisterten Frau, die den falschen Mann geheiratet hatte. Und ich hatte Glück: Steffi Kleinschmidt nahm selbst ab.
»Hallo, Frau Kleinschmidt, erinnern Sie sich noch an mich? Ich bin der Detektiv, der Sie besucht hat.«
»Wer ist denn dran?«, rief Berthold Kleinschmidt im Hintergrund.
»Ich glaube, Sie haben die falsche Nummer gewählt«, sagte Steffi.
»Das macht nichts. Ich würde Sie gern noch einmal treffen. Bauen Sie einfach ein Ja in den Satz ein, wenn Sie einverstanden sind. Der Rest ist egal.«
»Ja, wie ich schon sagte ...«
»Wer ist es denn?«, fragte Berthold, langsam näher kommend.
»Sagen wir morgen, dreizehn Uhr? Bei Kannengießer am Prinzipalmarkt? Gleiches Verfahren wie eben.«
»Ja, da kann ich Ihnen auch nicht helfen«, sagte Steffi.
»Und warum redest du die ganze Zeit mit ihm?«, fragte Berthold.
Steffi Kleinschmidt legte auf.
»War das die Frau von dem Anlageberater?«, fragte Franka, beinahe genauso misstrauisch wie Berthold Kleinschmidt.
»Ja, und außerdem die beste Freundin von Jessica Wiedemann.«
Ich schaute mich um und dachte einen Moment darüber nach, ob wohl eine Wanze im Büro versteckt war. Aber wahrscheinlich verursachten Leute wie Berthold Kleinschmidt zwangsläufig eine Paranoia.
XVI
Münsters Zeiten als Weltstadt lagen lange zurück. Vor mehr als dreihundertfünfzig Jahren war in der Hauptstadt des gleichnamigen Fürstbistums Geschichte geschrieben worden, als Gesandte aus allen Ländern Europas die Einwohnerzahl des Zehntausend-Seelen-Städtchens verdoppelten und in jahrelangen Konferenzen und Briefwechseln den Westfälischen Frieden aushandelten. Später, nachdem Napoleon den katholischen Bischof abgesetzt und dafür sein Waterloo erlebt hatte, kam unverhofft der zweite Aufstieg. Die Preußen, deren Marschall Blücher in der münsterschen Freimaurerloge Zu den drey Balken den ersten Hammer führte, machten Münster zur Hauptstadt ihrer Provinz Westfalen. Als letzte Zuckung dieses Glanzes schmückte sich die Stadt an der Aa bis in die Gegenwart mit dem etwas hausbackenen und doppelsinnigen Titel Provinzmetropole.
Für die vielen Kleinstädte des Münsterlandes blieb Münster tatsächlich der Nabel der Welt, und dass gesichtslose, urbane Konglomerate wie Dortmund, Bochum oder Bielefeld, was die Einwohnerzahl anging, Münster längst überholt hatten, tat dem Selbstbewusstsein seiner Bürger keinen Abbruch. Genauer gesagt, jenem Teil der Bürger, der Politik und Geschäfte in elitären Klubs und verschwiegenen Vereinigungen abwickelte – oder in Gaststätten wie dem Kannengießer.
Das Kannengießer am Prinzipalmarkt stammte aus der glorreicheren Zeit der Stadtgeschichte. 1880 eröffnet, hatte es den Kulturkampf und zwei Weltkriege überlebt. In seinem Inneren dominierte schwarze Eiche, und Buntglasfenster sorgten dafür, dass das gemeine Volk nicht hineinschauen konnte.
Steffi Kleinschmidt saß in einer kleinen Nische und rührte in einem Teeglas. Ansonsten war sie genauso beeindruckend, wie ich sie in Erinnerung hatte.
»Hier war ich schon lange nicht mehr«, sagte sie, nachdem wir uns begrüßt hatten.
»Ich auch nicht.«
Eine Kellnerin reichte mir eine umfangreiche Sammlung von Karten, die ich mit dem schlichten Wunsch nach einem Kaffee zurückwies.
»Bei Ihnen hätte ich eher auf eines der neuen italienischen Cafés getippt.«
Ich deutete auf das Buntglasfenster. »Hier ist man ungestört.«
Sie lächelte spöttisch. »Haben Sie das nötig?«
»Manchmal schon.« Ich wollte sie nicht damit beunruhigen, dass mein Verfolger draußen herumlungern konnte, obwohl ich ihn nicht bemerkt hatte.
Sie nickte. »Und was gibt es Konspiratives zu besprechen?«
»Die Frage, was Jessica aus Doktor Thalheims Praxis gestohlen hat.«
Sie seufzte. »Da kann ich Ihnen nicht helfen. Es würde mich auch wundern, wenn Jessica etwas gestohlen hätte.«
»Hat sie aber.«
»Davon weiß ich nichts.«
Die weiß geschürzte
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