Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
stinkenden Flur.
In den Betten des großen Zimmers lagen drei junge Frauen, von denen mich zwei freundlich anschauten. Die dritte, Yvonne Krämer, sah mich weniger freundlich an.
»Hallo, Yvonne!«, sagte ich laut, schnappte mir einen Stuhl und setzte mich an ihr Bett.
Sie drehte ihren Kopf zum Kissen. »Gehen Sie!«, flüsterte sie. »Ich will nicht mit Ihnen reden.«
»Wer hat Sie angefahren?«, fragte ich, nun ebenfalls leise.
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ich will Ihnen helfen«, versicherte ich. »Der Albtraum ist erst zu Ende, wenn der Typ gefasst wird.«
Sie reagierte nicht.
Es war nicht gerade die feine englische Art, ihr Angst zu machen. Allerdings fiel mir keine schonendere und zugleich wirksame Methode ein. »Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will? Sie sind immer noch in Gefahr. Er könnte es noch einmal probieren.«
Ihre Augen schienen zu erkunden, ob ich die Wahrheit sagte.
»Ich habe nichts gesehen«, sagte sie matt. »Das Auto hat mich von hinten angefahren. Ich bin durch die Luft geflogen.«
»Konnten Sie den Wagentyp erkennen?«
»Es war ein Audi, glaube ich, ein silberner Audi.«
Jetzt wusste ich wenigstens, womit sich mein Verfolger in den letzten Tagen beschäftigt hatte.
»Es tut mir Leid«, sagte ich. »Ein Teil der Schuld liegt bei mir. Er hat vermutlich beobachtet, dass ich Sie besucht habe.«
Ihre Augen wurden größer. »Aber ich habe Ihnen doch nichts gesagt.«
»Sie hätten es sich anders überlegen können. Sie oder eine Ihrer Kolleginnen. Die sind jetzt ebenfalls gewarnt.«
Ihr Kopf sank ins Kissen zurück. »Es ist so schrecklich.«
Es war so leise im Zimmer, dass man beinahe das Tröpfeln der Infusionsflaschen gehört hätte. Mir wurde bewusst, dass vier unbefugte Ohren versuchten, jedes Wort mitzubekommen.
Auf dem Tisch von Yvonnes Bettnachbarin entdeckte ich ein kleines Radio. Ich ging hinüber und schaltete es ein. »Sie haben doch nichts dagegen? Ist in Ihrem eigenen Interesse. Besser, Sie wissen nicht zu viel«, sagte ich mit einer Stimme, die zu einem zweitklassigen Horrorfilm gepasst hätte.
Die Frau nickte eingeschüchtert. Wenn ich so weitermachte, konnte ich mich beim nächsten Send für die Geisterbahn bewerben.
Ich kehrte zu Yvonne zurück. »Ich sage Ihnen jetzt, was ich weiß. Das ist schon eine ganze Menge. Von Ihnen brauche ich nur den kleinen Rest.«
Yvonne schaute zum Fenster. Immerhin lehnte sie meinen Vorschlag nicht ab.
»Jessica Wiedemann wurde misstrauisch, als einige alte Frauen, alle Patientinnen bei Doktor Thalheim, plötzlich starben. Die Frauen litten zwar an Osteoporose, waren jedoch ansonsten, ihrem Alter entsprechend, relativ gesund. Jessica vermutete, dass etwas mit den Behandlungsmethoden oder den Medikamenten, die Doktor Thalheim verabreichte, nicht stimmte. Sie nahm an, dass Thalheim den wahren Grund für den Tod der Frauen vertuschen wollte, und begann, in der Praxis nach Beweisen zu suchen. Und sie hat diese Beweise gefunden. Ich glaube, dass es sich um Computerdateien handelt, aber das spielt keine große Rolle. Tatsache ist, dass sie etwas gegen Thalheim in der Hand hatte.«
Ich machte eine Pause. Yvonne Krämer zeigte keine Regung.
»Das war natürlich gefährlich für Thalheim«, fuhr ich fort. »Und gefährlich für Jessica. Wäre Jessica mit ihrem Wissen zur Polizei gegangen, würde sie heute wohl noch leben. Aber sie hatte gar nicht die Absicht, Thalheim das Handwerk zu legen, nein, sie hat versucht, ihn zu erpressen. Und das ging schief. Jessica wurde ermordet. Die Polizei geht davon aus, dass ihr Ehemann der Mörder ist. Ich tippe eher auf Thalheim oder den Typen, der Sie angefahren hat. Denn warum sollte der Ehemann die Festplatte aus Jessicas Computer stehlen?«
Yvonne schaute mich an.
Ich lächelte. »Seien Sie vernünftig, Yvonne! Wollen Sie, dass Ihnen das Gleiche passiert wie Jessica? Sagen Sie mir, was Jessica gefunden hat!«
Sie sprach so leise, dass ich das Wort kaum verstand: »BioMedic.«
»Was ist das?«
»Eine Pharma-Firma in Hiltrup, Ableger von einem US-Konzern. Thalheim hat den Frauen ein Präparat gespritzt, das von der Firma entwickelt worden ist.«
»Und was ist drin?«
Sie zischte: »Glauben Sie, Thalheim hat uns das erzählt? Die Sache war top secret. Alle Untersuchungsergebnisse wurden ausschließlich auf seinem Computer gespeichert. Wir haben nur indirekt davon erfahren. Weil uns die Frauen gefragt haben, wann sie die nächste Spritze bekommen. Und weil eine Frau von
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