Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
gibt tausende. Am bekanntesten sind die beim Militär oder in der Spionage verwendeten. Denken Sie an die Enigma der deutschen U-Boot-Flotte! Aber kaum jemand weiß, dass die US-Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs Indianersprachen als Geheimcode benutzten. Die Marine setzte Navajos ein, die Armee Comanchen. Die Indianer kommunizierten verbal, per Sprechfunk, miteinander, nie wurde auch nur ein einziges Wort aufgeschrieben. Für Begriffe, die in den Indianersprachen nicht existierten, wurden Synonyme gebildet. Ein Panzer war eine Schildkröte, und wenn Bomber im Anflug waren, hieß das: Hoch fliegende Schwangere greifen an. Nett, nicht? Jedenfalls ist es den Deutschen und Japanern bis Kriegsende nicht gelungen, den Code zu knacken. Erst vor einigen Jahren wurde das Geheimnis gelüftet und den überlebenden Indianern öffentliche Anerkennung zuteil.«
Kohlmanns Begeisterung ähnelte der von Weichert. Beide schienen in ihrer Arbeit aufzugehen.
»Abgesehen vom Militär- und Geheimdienstkomplex«, redete die Wissenschaftlerin weiter, »gibt es Geheimsprachen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. So entwickelten Hamburger Werftarbeiter Anfang des 20. Jahrhunderts eine eigene Sprache, indem sie helle Vokale an die Wortendungen hängten, um sich im Arbeitslärm besser verständigen zu können. Eine sehr witzige Sprache, die noch auf Schallplatten erhalten ist.«
Endlich hatten wir uns durch die engen Marktreihen gekämpft und den Kaffeestand erreicht, der vor dem Denkmal Kardinal von Galens im Schatten des Paulus-Doms errichtet war. Wir kauften zwei Becher Kaffee und stellten uns an einen der kleinen Holztische.
Viola Kohlmann fegte ihre Haare mit einer Handbewegung aus dem Gesicht. Sie sah Marie Kaiser ähnlich, wirkte jedoch härter und entschlossener.
Kohlmann bemerkte, dass ich sie musterte. »Was haben Sie mit den Fotos vor?«, fragte sie unvermittelt.
»Nichts.« Ich sagte ihr nicht, dass die Polizei die Kamera konfisziert und ich keine Verfügungsgewalt über die Fotos hatte. Ein kleines Druckmittel konnte nicht schaden.
Die Frau schaute mich intensiv an. »Ich möchte nicht, dass mein Mann von der Sache erfährt.«
»Ich sehe keine Veranlassung, es ihm zu sagen.«
»Er hat keine Ahnung, was zwischen mir und Kaiser gelaufen ist. Und jetzt, wo Kaiser tot ist, braucht er es erst recht nicht zu wissen. Meine Ehe ist mir sehr wichtig, ich will sie nicht gefährden.«
»Was ist denn zwischen Ihnen und Kaiser gelaufen?«
Sie schnaufte. »Ich denke, Sie haben Kaiser beobachtet. Dann müssten Sie es doch wissen.«
»Haben Sie auch mit ihm geschlafen?«
»Am Anfang, ja«, sagte sie abwehrend. »Später ist es mir gelungen, ihn darauf zu beschränken, ab und zu handgreiflich zu werden. Er hatte ja genug Ablenkung.«
Sie nahm einen Schluck Kaffee. »Und jetzt kommen Sie bloß nicht mit moralischen Argumenten.«
»Sehe ich so aus?«
»Marie hat es doch nicht anders gemacht«, platzte es wütend aus ihr heraus. »Nur hatte ich nicht vor, mich als Hausfrau und Mutter zur Ruhe zu setzen. Ich will an der Uni Karriere machen und dazu brauchte ich Kaisers Hilfe. Er hat sich dafür eingesetzt, dass ich die Stelle in Leipzig bekomme. Dass ich habilitiert bin, ist das eine, doch eine Professorenstelle bekommt man nur durch Beziehungen. Beziehungen sind das A und O.«
»Verstehe.«
»Ach ja?«, knurrte sie. »Ich kenne genug Männer, die ihren Chefs in den Arsch kriechen.«
Ganz offensichtlich hatte sie größere Probleme mit ihrer Rolle, als sie zugeben wollte. Ich schaute auf meine Uhr, es war schon nach elf.
»Tut mir Leid, ich habe einen Termin. Vielleicht können wir unser Gespräch ein anderes Mal fortsetzen.«
Sie verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Wenn's sein muss.«
IV
Ich kam fünf Minuten zu spät. Marie Kaiser und Franka standen vor der Tür des Polizeipräsidiums und betrieben, nach ihrer Körpersprache zu urteilen, unterkühlten Smalltalk. Als Marie mich sah, zog sie mich ein Stück zur Seite.
»Herr Wilsberg, Sie haben von einer jungen Anwältin gesprochen. Aber Sie haben nicht gesagt, dass sie so jung ist. Sie hat nicht einmal eine Zulassung als Rechtsanwältin.«
»Sie arbeitet in der Kanzlei eines erfahrenen Strafverteidigers«, beruhigte ich sie. »Falls es Komplikationen gibt, wird er sich einschalten. Im Übrigen kenne ich Franka Holtgreve seit vielen Jahren. Sie ist eine gute Juristin und versiert in Kriminalfällen.«
»Woher wissen Sie das so genau?«
»Weil sie
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