Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
rannte zur Toilette.
Ich nahm das Handy, das auf dem Tisch lag, und tippte mich zu den versendeten Kurzmitteilungen durch. Meine Telefonnummer: Verpiss dich, Schnüffler!
Kohlmann schwankte, als sie zurückkam.
»Soll ich Ihren Arzt anrufen?«, fragte ich.
»Ach nein, das wird schon wieder.«
»Oder einen Kamillentee kochen?«
»Den würde ich sowieso nur auskotzen.« Sie setzte sich stöhnend.
Natürlich war es etwas schäbig, ihre Lage auszunutzen, aber Mord war auch eine schäbige Angelegenheit. »Warum haben Sie mir die SMS geschickt?«
»Was habe ich?«
Ich zeigte ihr den Text.
Sie guckte verständnislos. »Das habe ich nicht geschrieben.«
»Gehört das Handy Ihrem Mann?«
»Nein, das ist schon meins. Allerdings ... wann haben Sie die Nachricht bekommen?«
»Am Freitagabend.«
»Da lag das Handy im Institut. Ich habe es am Freitag vergessen.«
Die Ausrede war so schlecht, dass sie schon wieder wahr sein konnte.
»Und warum sollte ich Ihnen so etwas schreiben? Ich habe Kaiser nicht erschossen. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, er sei mein Ticket für eine bessere Zukunft.«
»Sie haben Kaiser nicht erschossen, aber vielleicht Ihr Mann.«
»Wolfgang?« Sie rang sich ein müdes Lächeln ab.
»Er ist Jäger und schießt gerne.«
»Aber er hatte doch keine Ahnung ...«
»Da täuschen Sie sich. Er hat Sie seit langem durchschaut.«
»Woher wissen Sie das?«
»Er hat mit mir geredet, in seiner Jagdhütte in den Baumbergen. Und er hat mir eine Menge erzählt, auch über den Besitzer seiner Firma, einen konservativen, religiösen Mann, der es sicher gar nicht schätzt, wenn die Frau seines leitenden Angestellten einen unsittlichen Lebenswandel führt. Zu Eifersucht als möglichem Tatmotiv kommt noch ein zweites, Frau Kohlmann: Ihr Mann kann schlicht und einfach Angst gehabt haben, dass Ihre Affäre mit Kaiser bekannt wird und er seinen Job verliert.«
In ihren Augen blitzte etwas auf und verschwand wieder.
»Wie gut versteht sich Ihr Mann mit seiner Sekretärin?«
»Die?« Sie lachte gehässig. »Die ist nicht sein Typ. Das Schärfste an ihr sind ihre dritten Zähne.«
Also wieder ein Holzweg.
»Vergessen Sie meinen Mann! Der ist zu feige für einen Mord. Das sehen Sie ja daran, wie er mich jetzt abserviert.« Sie schien sich langsam zu erholen, zumindest war das Grünliche in ihrem Gesicht verschwunden. Manchmal konnte Wut auch eine heilsame Wirkung haben.
Sie stand auf und holte eine Flasche Wasser und zwei Gläser. »Bedienen Sie sich!«
Ich goss beide Gläser voll und leerte meins zur Hälfte.
Sie nahm einen kleinen Schluck. »Ich glaube, mein Magen beruhigt sich etwas.« Sie bedachte mich mit einem spöttischen Blick. »Haben Sie Ihr Pulver verschossen? Sie wirken ziemlich ratlos.«
»Ich begreife das Motiv nicht«, gab ich zu. »Warum wurde Kaiser erschossen?«
»Ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Womit hat er sich in letzter Zeit beschäftigt?«
»Sie meinen: wissenschaftlich?«
»Ausnahmsweise.«
»Tja ...« Sie dachte nach. »Er plante ein Lexikon der Geheimsprachen. Und er hat viel mit Sven Weichert geredet. Ich nehme an, es ging um Svens Habilitation. Über Masematte, das hat er Ihnen bestimmt schon erzählt. Die beiden haben oft stundenlang zusammengehockt.«
Mein Handy klingelte.
Es war Marie: »Es ist mir fast peinlich, Sie immer wieder mit derselben Sache zu behelligen, aber es wurde schon wieder eingebrochen.«
»Geht es Ihnen gut?«
»Ja. Ich bin gerade erst angekommen. Wegen der Beerdigung morgen. Da habe ich gesehen, dass die Terrassentür aufgebrochen worden ist.«
»Haben Sie schon die Polizei angerufen?«
»Nein, aber Frau Holtgreve. Sie will sich darum kümmern.«
»Gut. Ich komme gleich vorbei.«
»Marie?«, fragte Viola Kohlmann.
Ich stutzte. »Ja.«
»Ist ihr etwas passiert?« Sie klang besorgt.
»Nein, es ist alles in Ordnung. Aber eines der großen Rätsel in diesem Fall, abgesehen vom Motiv und dem Täter, ist die Tatsache, dass nun schon zum dritten Mal jemand in das Haus der Kaisers eingedrungen ist. Offenbar gibt oder gab es dort etwas, das uns zum Täter führen könnte. Ich frage mich nur, warum weder Frau Kaiser noch die Polizei es entdeckt haben.«
»Oder Sie«, sagte Kohlmann.
»Oder ich.« Ich stand auf und verabschiedete mich.
»Bestellen Sie Marie einen schönen Gruß von mir!«, rief Kohlmann mir nach.
Ich blieb stehen. »Sind Sie sicher, dass sie sich darüber freuen wird?«
»Da bin ich ganz sicher.«
»Gut.«
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