Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
Wolfgang Kohlmann beschäftigt war, befand sich in Telgte, wie wir ziemlich schnell herausgefunden hatten, denn es gab nicht allzu viele Kugellagerfabriken im Münsterland, und praktischerweise wohnte Frau Lansing auch in Telgte, in einem Neubaugebiet, das so aussah, als habe ein Kind einen Haufen unterschiedlicher Legohäuser auf einem Flickenteppich verteilt.
Die Aufhebung der Vorschrift, die Siedlungshausbauer zu einer gewissen Einheitlichkeit verdammt hatte, mochte zwar den Individualismus beim Hausbau befördert haben, zur Gesamtästhetik solcher Siedlungen trug sie herzlich wenig bei. In diesem Fall kam hinzu, dass einigen Bauherren oder Bauunternehmen wohl das Geld ausgegangen war, denn etliche Doppelhaushälften waren Hälften geblieben, ihre nackten Zwischenwände ragten wie überdimensionierte aufgeschnittene Wurstlaibe in die Höhe.
Mit dem Straßenbau war die Stadt auch noch nicht nachgekommen, die Anbindung der Häuser erfolgte über Schotterwege und Lehmpisten. Das hatte etliche Neubewohner nicht davon abgehalten, hinter weißen Jägerzäunen akkurate Rasenvierecke aufzuforsten. Im Prospekt hieß das dann: Wohnen am Stadtrand in malerischem Grün.
»Welchen Eindruck haben sie gemacht?«, fragte ich.
»Die Sekretärin hatte Angst«, sagte Franka. »Sie wirkte völlig aufgelöst und fahrig. Kohlmann hat versucht, sie zu beruhigen. Aber ich wette, ihm geht der Arsch auch auf Grundeis.«
»Dann wollen wir mal zur Tat schreiten«, schlug ich vor.
»Warte!« Sie hielt mich zurück. »Denkst du nicht, es könnte gefährlich werden? Er besitzt Schusswaffen.«
»Hast du ein Gewehr gesehen?«
»Nein. Aber es könnte sich eins in der Wohnung befinden.«
»Das glaube ich nicht.« Ich schaute Franka an. »Du kannst hier bleiben, wenn du willst, und notfalls Stürzenbecher anrufen.«
»Nein.« Sie holte Luft. »Das ziehen wir jetzt gemeinsam durch. Es war schließlich meine Idee.«
Die Haustür stand offen, weil Handwerker etwas ein- oder ausbauten oder sich einfach nur die Zeit vertrieben. Wir stiegen die Treppe zur Wohnungstür in der ersten Etage hinauf. Franka klingelte und stellte sich gut sichtbar vor das Guckloch. Ich postierte mich außerhalb des Blickfeldes.
Im Inneren der Wohnung regte sich etwas, dann fragte eine zittrige Frauenstimme durch die geschlossene Tür: »Wer ist da?«
»Wir haben miteinander telefoniert«, antwortete Franka mit einem Schuss Boshaftigkeit. Schließlich gab sie eine fiese Erpresserin.
Die Tür wurde geöffnet. Franka blieb auf der Schwelle stehen, sodass ich die Tür weiter aufdrücken und mich an Franka vorbei in den Wohnungsflur quetschen konnte.
»Wer ... wer sind Sie denn?«, schnappte eine dürre Blondine, deren lange Nase so bleich war wie ihre künstlichen Zähne.
»Wilsberg! Das hätte ich mir denken können«, geiferte Kohlmann mit überschnappender Stimme. Heute trug er kein Jägerkostüm, sondern einen grauen Anzug und eine grell gemusterte Krawatte. »Er glaubt wohl, er kann mich mit dieser läppischen Erpressungsnummer aufs Kreuz legen.« Kohlmann kam langsam näher und fixierte mich mit einem entschlossenen Blick, während er so tat, als redete er mit seiner Sekretärin.
»Was?«, stammelte die Blonde. Sie schien einem Kreislaufkollaps nahe.
»Wilsberg ist Privatdetektiv«, erklärte ihr Chef. »Er denkt, ich hätte Professor Kaiser, den Chef meiner Frau, getötet. Und da er damit bei mir nicht landen konnte, hat er es nun mithilfe seiner Tussi bei dir versucht, Marion. Die beiden gehen davon aus, dass die Tatsache, dass wir scheinbar auf den Erpressungsversuch eingegangen sind, mein Alibi unglaubwürdig macht. Aber da irren sie sich. Sie haben nichts gegen uns in der Hand.«
»Ach«, sagte die Blonde.
Ich war mir nicht sicher, ob sie verstand, was ihr Kohlmann vermitteln wollte: Es besteht keine Gefahr. Wir haben nichts zu befürchten. Du kannst bei deiner Lüge bleiben.
In ihrem Telefonat mit Marion Lansing hatte Franka behauptet, sie wisse, dass die Sekretärin Kohlmann ein falsches Alibi verschafft habe, und für ihr Schweigen Geld gefordert. So war die Verabredung in Lansings Wohnung zu Stande gekommen.
»Wir wollten nur sehen, wer uns erpresst, damit wir diejenigen der Polizei übergeben können«, wandte sich Kohlmann nun direkt an mich. »Aber ihr könnt euch glücklich schätzen, dass ich heute meinen großzügigen Tag habe. Unter der Voraussetzung, dass ihr mir nie wieder unter die Augen tretet, verzichte ich auf eine Anzeige.« Er
Weitere Kostenlose Bücher