Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
die Gefahr, dass die beiden aus Münster verschwanden.
Die ehemaligen Speicher standen auf jener Seite des Hafenbeckens, die sich wegen der dort ansässigen Verlage und Werbeagenturen Kreativkai nannte. Und da Kreativität und Alkohol häufig eine enge Symbiose eingehen, gab es hier inzwischen auch etliche Kneipen, Restaurants und Clubs.
Ich lief durch die Speicher, klopfte an Türen, gesellte mich zu kleinen Gruppen in kärglichen Teeküchen und zeigte die Fotos von Lenas Werken und von Lena selbst. Die Reaktion bestand zumeist aus einem stummen Kopfschütteln. Möglicherweise war Lena tatsächlich unbekannt. Vielleicht hielt man mich auch für einen Bullen.
Langsam wurde es Abend. Ich beschloss, noch einen Abstecher zum Hawerkamp zu machen. Am Wochenende würde mich meine Tochter Sarah besuchen, dann blieb mir keine Zeit für die Suche.
Weit fahren musste ich ohnehin nicht, das Hawerkampgelände war nur einen knappen Kilometer vom Kreativkai entfernt. Optisch stellte es die B-Variante der aufgemotzten Hafenseite dar. Auch hier hatten sich in Sichtweite des Dortmund-Ems-Kanals kleine Firmen eingenistet, ebenso gab es Atelierhallen und Clubs, die sich Fusion oder Triptychon nannten. Allerdings waren die Gebäude nicht restauriert, dafür flächendeckend mit Graffiti bekleidet. Aus geöffneten Fenstern wummerte laute Musik, Autowracks und eingestürzte Mauern erinnerten an ein Niemandsland zwischen Bürgerkriegsparteien und auf den Brachflächen türmten sich wilde Müllkippen.
Wieder zeigte ich die Fotos herum, mit ähnlichem Erfolg wie zuvor am Hafen. Als ich gerade begann, mich mit meiner Niederlage abzufinden, schaute eine Malerin ein paar Sekunden zu lange auf eine von Lenas Collagen.
»Erkennen Sie den Stil?«, fragte ich.
»Nein.« Sie gab mir das Foto zurück.
»Und die Künstlerin?« Ich zückte Lenas Porträtfoto.
Ihre Pupillen weiteten sich, aber ihr Gesicht blieb starr. »Keine Ahnung. Nie gesehen. Was wollen Sie von ihr?«
»Nur mit ihr reden.«
»Sorry. Da kann ich Ihnen nicht helfen.«
Ich bedankte mich, steckte die Fotos ein und ging. Es machte keinen Sinn, die Frau unter Druck zu setzen. Ich würde höchstens erreichen, dass sie Lena warnte. Aber ich war auf eine Verbindung gestoßen.
Weil ich damit rechnete, beobachtet zu werden, stieg ich in meinen Wagen und fuhr weg. Bis zum Parkplatz der nebenan gelegenen Halle Münsterland. Anschließend machte ich zu Fuß einen großen Umweg, kletterte über einen Zaun, versteckte mich hinter einem ausgeschlachteten Wohnwagen unter einem löchrigen Wellblechdach und wartete.
Mittlerweile war es dunkel geworden. Ich hatte ein Fernglas aus meinem Wagen mitgenommen und beobachtete, so gut es bei der spärlichen Beleuchtung möglich war, die Szene. Die Musik wurde lauter, immer mehr junge Leute in Altkleidern bevölkerten die Schluchten zwischen den Häusern. Ich schaute auf meine Uhr und gähnte. Und dann sah ich Lena.
Sie betrat das Ateliergebäude. Nach einer Viertelstunde kam sie wieder heraus. Sie bewegte sich jetzt schneller und schaute sich nervös um. Die Malerin musste ihr von mir erzählt haben.
Ich steckte das Fernglas ein und beeilte mich, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Lena lief an einem mit Nato-Draht verstärkten Zaun entlang, der das Hawerkampgelände von einer Betonfirma trennte. Der Weg führte zu einigen unbeleuchteten Holzbaracken. Kurz darauf war Lena im Dunkel der Nacht verschwunden.
Ich verlangsamte meine Schritte und horchte nach links und rechts. Hinter einem Holzzaun plärrte Musik aus einer billigen Audioanlage. Wenige Meter weiter endete der Pfad und ich stand vor einem kleinen Hafenbecken, dessen Ränder von Büschen und Unkraut überwuchert waren. Entweder hatte Lena ein Boot genommen oder sie befand sich hinter dem Holzzaun. Weil ich kein Boot sah oder hörte, war der Holzzaun eindeutig der heißere Tipp.
Ich suchte nach einer Öffnung und fand einen türähnlichen Mechanismus. Als ich eintrat, war ich auf vieles vorbereitet, jedoch nicht auf das, was ich zu sehen bekam. Ich stand mitten in einem Campingidyll. Einige Wohnwagen bildeten auf sattem grünem Rasen eine Wagenburg, zwischen den Fahrzeugen waren Drähte gespannt, an denen bunte Glühbirnen baumelten, unter den Glühbirnen saßen Menschen auf weißen Plastikstühlen und tranken Bier aus Flaschen. Nicht einmal der Fahnenmast und die Flagge fehlten, allerdings war es keine deutsche Fahne, sondern die Flagge eines weit entfernten Landes, das womöglich
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