Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
Imke eine Diskussion über Sarahs Erziehung anzufangen. Dabei hätte ich voraussehen können, dass Imke den Spieß umdrehen und mir für alle Versäumnisse die Schuld geben würde. Sie sagte, ich hätte ja keine Ahnung, wie das sei, jeden Tag die immer gleichen Kämpfe mit einem selbstbewussten und dickköpfigen Mädchen auszufechten. Sie sagte auch, ich würde mich vor der Verantwortung drücken und mich zu wenig um Sarah kümmern. Sie sagte noch vieles mehr, bevor ich mehr oder weniger flüchtete. So war das schon immer zwischen uns gewesen: Wenn sich Imke aufregte, hatte ich nicht den Hauch einer Chance.
In deutlich gedämpfterer Stimmung fuhr ich nach Münster zurück. Es dauerte eine Weile, bis ich die Schuldgefühle abgeschüttelt hatte und den einsamen Abend in meiner Wohnung genießen konnte.
Um zehn Uhr am Montagmorgen beschloss ich, nicht länger auf einen Anruf von Lena Gessner zu warten. Da es wohl nicht zu einem zweiten Gespräch kommen würde, musste ich auf Frankas Angebot zurückgreifen und den Umsatz meines Detektivbüros auf herkömmliche Art erwirtschaften. Ich rief in Frankas Rechtsanwaltspraxis an. Die Sekretärin sagte mir, dass Frau Holtgreve in einer Besprechung sei und zurückrufen werde.
Ich legte auf und schaute aus dem Fenster. Es regnete nicht und es läuteten auch keine Kirchenglocken. Dafür meldete sich meine Türglocke.
Lena Gessner sah aus, als habe sie bei einem Rudel Wölfe übernachtet.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Simon ist tot!«, schrie sie mich an. »Das ist passiert!«
»Wer ist Simon?«
Sie schaute mich an, als hätte ich ihn persönlich ermordet.
»Ihr Freund?«, kombinierte ich.
Sie schaukelte mit dem Oberkörper. »Scheiße. Die haben ihn umgebracht.«
»Kommen Sie!« Ich führte sie in meine Wohnung. Nachdem ich sie in einen Sessel bugsiert hatte, brachte ich ihr ein Glas Wasser. Sie trank es in einem Zug aus.
»Soll ich einen Arzt rufen?«
»Nein. Kein Arzt.« Sie schaute sich panisch um. »Sie sind doch allein?«
»Ich bin allein«, beruhigte ich sie. »Hier sind Sie in Sicherheit.«
Was auch immer sie erlebt hatte, es musste ihr einen fürchterlichen Schrecken eingejagt haben.
»Ich war in der letzten Nacht schon mal hier.« Sie zog meine Visitenkarte aus der Tasche. »Die haben sie übersehen.«
Das Telefon in meinem Büro klingelte. Ich ließ es klingeln. »Warum haben Sie mich nicht angerufen?«
»Ich habe mich nicht getraut. Ich wusste nicht, ob ...«
Ich nickte und begriff, woher der Geruch stammte, den sie verströmte. »Sie haben draußen geschlafen.«
»Ich habe überhaupt nicht geschlafen. Ich habe mich unter ein Gebüsch gelegt, nicht weit von hier. In der Nähe stand ein Turm.«
Ich nahm an, dass sie den Buddenturm meinte. »Möchten Sie etwas essen?«
»Nein.« Sie leckte sich über die Lippen. »Noch etwas zu trinken, bitte!«
Ich schüttete Wasser aus der Flasche nach. »Wollen Sie mir erzählen, was geschehen ist?«
Sie betrachtete die aufsteigenden Bläschen im Glas und schwieg. Ich schwieg ebenfalls und fragte mich, ob ich nicht doch den Notarzt rufen sollte.
Endlich sagte sie: »Die haben Simon umgebracht.«
»Wer sind die? «
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war im Atelier. Als ich zurückkam, war er tot. Er lag so ... Ich wusste sofort, dass er tot ist.« Sie begann zu schluchzen.
Ich suchte nach einer Packung Papiertaschentücher. »Frau Gessner, ich ...«
»Lena«, fauchte sie. »Ich heiße Lena, verdammt nochmal!« Sie zitterte am ganzen Körper.
»Also gut.« Ich gab ihr die Papiertaschentücher. »Lena, ich denke, Sie stehen unter Schock. Ich bringe Sie jetzt in ein Krankenhaus. Da wird man sich um Sie kümmern.«
Sie sprang auf. »Sie glauben mir nicht, was? Ich habe geahnt, dass ich Ihnen nicht trauen kann.«
»Okay!« Ich hob die Hände. »Beruhigen Sie sich! Ich werde Sie nicht ins Krankenhaus bringen.«
»Sie sagen niemandem, dass ich hier bin?«
»Ich werde mit niemandem darüber reden.«
Sie setzte sich wieder.
»Warum glauben Sie, dass Simon ermordet worden ist?«, fragte ich.
»Er hat Ecstasy und Speed genommen, aber er hatte es im Griff. Er wusste genau, wie viele Pillen er schlucken konnte.«
»Haben Sie diese Pillen auch genommen?«
»Manchmal. Nicht so oft wie Simon. Ich reagiere stärker, bin länger high.«
»Wäre es nicht möglich, dass Simon an einer Überdosis gestorben ist?«
Sie strafte mich mit einem verächtlichen Zucken der Oberlippe. »Haben Sie mich nicht verstanden? Er
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