Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
hatte es unter Kontrolle.«
»Das denken andere auch – und sterben trotzdem. Ich bin kein Experte, aber soviel ich weiß, geht bei der Herstellung manchmal etwas schief: zu hohe Konzentration, gefährliche Beimischungen. Schließlich wird die Produktion nicht vom Gesundheitsamt überwacht.«
Lena funkelte mich an. »Sie haben ihn gezwungen, eine Überdosis zu nehmen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Das habe ich gefühlt.« Sie spürte, dass ich nicht überzeugt war, wandte den Kopf ab und murmelte: »Scheiße. Sie glauben mir nicht.«
»Ich bin Detektiv«, sagte ich freundlich. »Mein Job ist es, Beweise zu sammeln. Gefühle können hilfreich sein, sie können aber auch trügen.«
»Was wollen Sie hören? Simon hat sich gewehrt, das konnte ich sehen. Der Schrank ist zu Bruch gegangen, überall lagen Scherben. Außerdem haben sie den Wohnwagen durchsucht.«
Mir fielen die zehntausend Euro ein, die ich Lena und Simon übergeben hatte.
»Ist das Geld weg?«
»Das haben wir woanders versteckt. Ich habe nachgesehen, es ist noch da.«
»Haben Sie jemandem davon erzählt?«
»Nein. Im Camp wusste keiner etwas.«
»Was könnten die Leute, die Simon umgebracht haben, denn gesucht haben?«
Lena schaute auf den Boden und schwieg. Entweder wollte sie mich nicht einweihen oder sie bildete sich die Mordgeschichte nur ein. Letzteres hielt ich für wahrscheinlicher. Angesichts ihrer psychischen Verfassung machte es jedoch wenig Sinn, darauf zu insistieren.
»Haben Sie die Polizei angerufen?«
»Das hat einer der anderen gemacht.«
»Und? Haben Sie mit den Polizisten geredet?«
»Ich bin abgehauen.« Sie schlang die Arme um ihren Körper. »Ich habe mich versteckt, als ich die Sirenen gehört habe. Die hätten mich bloß festgenommen.«
Ich nickte. »Sie können ein paar Tage hier bleiben, wenn Sie wollen. Und jetzt sollten Sie ein bisschen schlafen.«
»Ich will nicht schlafen. Wenn ich die Augen zumache, sehe ich Simon vor mir.«
»Ich koche Ihnen einen Tee. Dann sehen wir weiter.«
Ich ging in die Küche, setzte einen Früchtetee auf und rührte zwei Löffel Honig in die Tasse.
Nachdem sie den Tee brav getrunken hatte, überredete ich sie, sich auf die Couch zu legen. Sie müsse ja nicht schlafen, es reiche völlig, wenn sie ein wenig ausruhe. Dann holte ich mehrere Wolldecken. Sie verkroch sich wortlos unter den Decken, zupfte und zerrte so lange, bis nur noch ihr Gesicht in dem Wollhaufen zu erkennen war. Das verstörte Gesicht eines Mädchens, das zu viel Schlimmes erlebt hatte.
Nach ein paar Minuten atmete sie ruhig und gleichmäßig.
Ich ging ins Büro und telefonierte mit Nora Gessner. Nora sagte, sie wolle so bald wie möglich kommen. Sie müsse noch ein paar Dinge regeln, aber spätestens am übernächsten Tag könne sie in Münster sein. Bis dahin solle ich Lena nicht aus den Augen lassen.
»Sie ist erwachsen. Ich kann sie nicht einsperren.«
»Lena vertraut Ihnen, sonst wäre sie nicht zu Ihnen gekommen.«
»Ich glaube, sie hatte keine andere Wahl.«
»Ich vertraue Ihnen auch.«
Dazu fiel mir kein Gegenargument ein.
Am Mittag kam Lena in die Küche. Ich saß am Küchentisch und aß ein Brot. Sie sah müde aus, aber die Panik in ihren Augen war verschwunden. Sie schaute auf meinen Teller.
»Haben Sie Hunger?«
Sie nickte stumm.
Ich holte einen zweiten Teller aus dem Schrank und schnitt noch ein paar Scheiben Brot ab.
Wortlos verschlang sie vier mit Wurst und Käse belegte Schnitten. Danach lehnte sie sich zurück. »Das war gut.«
Ich lächelte. »Möchten Sie ein Bad nehmen?«
Sie schnüffelte an ihrer Kleidung. »Keine schlechte Idee. Ich stinke fürchterlich.«
»Ich könnte Ihnen neue Sachen besorgen.«
»Nein, bitte nicht. Sie haben doch bestimmt eine Waschmaschine. Bis meine Klamotten trocken sind, reichen mir ein altes T-Shirt und eine Hose.«
Ich zeigte ihr das Badezimmer und erklärte die Bedienung der Waschmaschine und des Wäschetrockners. Dann öffnete ich die Tür zu Sarahs Zimmer.
»Das Zimmer gehört meiner Tochter. Sie können es vorläufig benutzen.«
»Wo ist Ihre Tochter?«
»Bei ihrer Mutter. Sarah kommt nur jedes zweite Wochenende.«
Lena schaute sich um. »Warum tun Sie das für mich? Sie können mich doch nicht einmal leiden, stimmt's?«
»Sie sind gar nicht so schlimm, wie Sie denken. Außerdem hat mich Ihre Schwester darum gebeten.«
Lena zuckte zusammen, ihr Gesicht wurde hart.
»Ihr Vater wird mich schon entschädigen«, lenkte ich ab. »Wenn alles
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