Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
»Möchten Sie noch etwas bestellen?«
»Nein«, sagte ich. »Wir möchten zahlen.«
Diesmal bezahlte ich. Neben der Aussicht reichten zum Glück auch die Preise nicht an Züricher Verhältnisse heran.
Vor ihrem nächsten Besuch im Krankenhaus wollte Nora den Wohnwagenplatz sehen, auf dem Lena zuletzt gelebt hatte. Wieder fuhr ich zum Hawerkampgelände, vorbei an der Galerie der Wahlplakate.
»Halten Sie mal an!«, sagte Nora scharf.
Ich hielt an.
»Das ist Gottfried Guber?«
Ich schaute zu dem künstlerisch verfremdeten Plakat. »Sie müssen sich ihn ohne Hakenkreuz auf der Glatze und Hitlerschnurrbart vorstellen.«
»Ich kenne den Mann.«
Plötzlich war ich elektrisiert. »Sie haben ihn schon mal getroffen?«
»Er hat mit meinem Vater gesprochen.«
»In Zürich?«
»In unserem Haus in Küsnacht. Ich habe ihn nur kurz gesehen, aber so ein Gesicht vergisst man nicht.«
VIII
Nachdem ich ihr den Wohnwagen und das Ateliergebäude gezeigt hatte, setzte ich Nora vor dem Eingang der psychiatrischen Klinik ab.
»Rufen Sie mich an, wenn ich Sie abholen soll!«
Sie lächelte. »Ich kann mir auch ein Taxi nehmen.«
»Ich mache das gerne.«
»Na gut, ich rufe Sie an.«
»Falls Lena aufwacht und etwas darüber sagt, was gestern passiert ist ...«
»... rufe ich Sie auch an.«
Auf der Straße vor meinem Haus wartete niemand auf mich und das Haar klemmte noch an der richtigen Stelle, als ich die Wohnungstür aufschloss. Vielleicht hatten sie es ja aufgegeben, mich zu besuchen, oder Lena hatte ihnen erzählt, was sie wissen wollten.
Die Tageszeitungen der letzten Woche lagen gestapelt in einer Ecke meines Büros. Ich blätterte sie durch und las alle Artikel über Gottfried Guber. Neue Erkenntnisse gewann ich dadurch nicht, es ging um Wahlkampfauftritte und Podiumsdiskussionen, ein Interview war auch dabei. Guber vertrat seine üblichen Positionen, die referiert und manchmal mit kritischen Seitenhieben versehen wurden. Typische Texte von Lokalzeitungsjournalisten, die von einem Termin zum nächsten hetzen. Unter den meisten Artikeln stand das Kürzel TOL, unter dem Interview der vollständige Name: Tobias Olpitz. Im Interview stellte Olpitz ziemlich bissige Fragen und der daneben abgedruckte Kommentar, der ebenfalls von ihm stammte, bestätigte den Eindruck, dass Olpitz kein Guber-Anhänger war.
Ich wählte die Nummer der Lokalredaktion und ließ mich mit Olpitz verbinden. »Sind Sie an Informationen über Guber interessiert?«
»Welche Art von Informationen?«
»Das möchte ich Ihnen persönlich sagen.«
»Ich habe viel zu tun.«
»Ich bin Privatdetektiv. Bei einem meiner Fälle bin ich auf Guber gestoßen.«
»Können Sie konkreter werden?«
»Nein. Ich dachte auch eher an ein Geschäft: meine Informationen gegen das, was Sie wissen.«
»Für Geschäfte ist die Chefredaktion zuständig.«
»Es geht mir nicht um Geld. Und ich möchte, dass die Sache unter uns bleibt. Je weniger davon erfahren, desto besser.«
»Wie war nochmal Ihr Name?«
Ich lachte. »Sind Sie interessiert?«
Er überlegte. »Gleich ist Redaktionsschluss. Bis dahin muss ich noch ein paar Texte redigieren. Sagen wir in einer Stunde? In einem Café in der Innenstadt?« Er nannte einen Namen.
Ich war einverstanden.
Das Café war verschachtelt und erstreckte sich über mehrere Ebenen. Der Besitzer hatte ein paar museumswürdige Stücke des alten Café Schucan gerettet, der verblichenen Traditionsstätte an Münsters Prachtstraße Prinzipalmarkt, in der Generationen von Studenten, Professoren und Hausfrauen kännchenweise Kaffee getrunken hatten. Dann war das Café Schucan einer Parfümerie und einer Buchhandlung gewichen, so wie die meisten Familiengeschäfte am Prinzipalmarkt inzwischen unter der Filialfahne eines Konzerns segelten. Da man mehr Geld damit verdiente, den Laden zu vermieten, als sich selbst hinter die Theke zu stellen, war es den Nachfahren der alten Kaufmannsfamilien nicht zu verdenken, dass sie ihre Zeit lieber auf dem Golfplatz verbrachten.
Tobias Olpitz war ein hagerer Mann um die dreißig. Er trug das kurzärmelige Hemd lässig über der Hose und eine Ausgabe seiner Zeitung unter dem Arm, woran ich ihn erkannte. Ich winkte ihn an meinen Tisch.
»Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor«, sagte er, nachdem wir uns begrüßt hatten. »Waren Sie nicht in die Geschichte mit dem ermordeten Professor verwickelt, die Schießerei auf dem Zentralfriedhof? Das hat Ihnen eine Menge Ärger eingebracht, wenn ich mich richtig
Weitere Kostenlose Bücher