Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation
großen Konzerns gepasst hätte, erwartete uns stehend.
»Markus Dickbier«, stellte Niemeyer vor. »Herr Dickbier ist Abteilungsleiter im Landeskriminalamt.«
Dickbier verabreichte mir einen feuchtkalten Händedruck. Ich unterdrückte den Impuls, meine Hand an der Hose abzuwischen.
Aus dem bulligen Gesicht sprach eine kratzige Fistelstimme. »Sie werden sich sicher fragen, was das alles zu bedeuten hat.«
»Meine Fantasie reicht jedenfalls nicht aus, um der Realität zu folgen.«
»In der Tat ist die Sachlage sehr komplex.« Dickbier stützte seine Fingerspitzen auf dem Schreibtisch ab, der fast die Hälfte der Grundfläche des winzigen Zimmers einnahm. Ich fühlte mich unangenehm an meine Gefängniszelle erinnert.
»Da Sie zu den gefährdeten Personen gehören, haben wir uns entschlossen, Sie einzuweihen. Verbunden mit der dringenden Bitte, nichts davon an Dritte weiterzugeben und sich aus allen Ermittlungen herauszuhalten.«
»Verstehe«, sagte ich. »Um was geht es eigentlich?«
Dickbier schaute zu Niemeyer.
»Erinnern Sie sich an unser Gespräch in der JVA?«, nahm Niemeyer den Ball auf. »An die Möglichkeit, dass die dritte Generation der RAF benutzt wurde, um ein Bedrohungspotenzial aufrechtzuerhalten? Tatsächlich gehen wir – und mit ›wir‹ meine ich eine Taskforce von speziell ausgewählten Staatsanwälten und Kriminalbeamten – Hinweisen nach, die auf eine konspirative Absprache etlicher hoher Beamter aus Polizei- und Verfassungsschutzbehörden schließen lassen. Ziel der Absprache war es, die RAF vor Verhaftungen zu bewahren und so weit wie möglich zu lenken.«
»Nicht ganz uneigennützig«, ergänzte Dickbier. »Abgesehen von Arbeitsplatzsicherung ging es schlicht um Geld. Wenn man so will: um Schutzgelderpressung.«
»Die RAF hat dafür bezahlt, dass sie RAF sein durfte?«
»So könnte man es ausdrücken«, sagte Dickbier.
»Aber sogar von der Kommandoebene wussten nicht alle davon«, warf Niemeyer ein. »Bis zur Auflösung der RAF gab es Mitglieder, die glaubten, gemäß ihren eigenen Überzeugungen zu handeln. Und auch die eingeschleusten oder umgedrehten Agenten erfuhren nur das Nötigste. Von den wahren Drahtziehern hatten sie keine Ahnung.«
»Eingeschleuste Agenten wie Thomas Berning«, sagte ich.
»Richtig. Berning war ein Agent des Verfassungsschutzes. Er wurde 1981 bei einem Einbruch in ein Juweliergeschäft am Tatort gefasst. Die Überprüfung seiner Personalien ergab, dass er zur Unterstützerszene gehörte. Zwar konnten ihm keine konkreten Straftaten nachgewiesen werden, doch gingen die Ermittler davon aus, dass er sich an illegalen Aktionen des von der RAF sogenannten Widerstands beteiligt hatte. Berning wurde vor die Wahl gestellt, entweder für ein paar Jahre ins Gefängnis zu gehen oder zu kooperieren. Er entschied sich für die Freiheit und plauderte alles aus, was er wusste. Damals kannte er bereits einige Leute aus der Kommandoebene der RAF, obwohl er selbst noch nicht dazugehörte. Vom Verfassungsschutz, der ihn übernahm, wurde Berning ermuntert, sich durch entsprechende Aktivitäten zu profilieren und bei den richtigen Leuten einzuschmeicheln. Und tatsächlich stieß er Mitte der Achtzigerjahre zur Führungsebene.«
»Das heißt, der Verfassungsschutz wusste von den Anschlägen der RAF und hat nichts unternommen, um sie zu verhindern? Oder hat sie sogar in Auftrag gegeben?«
»Laut den Akten des Verfassungsschutzes war Berning bei den großen Anschlägen nicht involviert«, sagte Dickbier. »Nach heutigen Erkenntnissen darf man sich die RAF jener Zeit nicht als straff geführte Organisation vorstellen, sondern eher als Netz dezentraler Kampfgruppen.«
»Oder die Akten wurden manipuliert«, sagte ich.
»Auch das ist denkbar, lässt sich allerdings nicht beweisen.«
»Haben Sie überhaupt etwas in der Hand, um jemanden dranzukriegen?«
»Wir folgen der Spur des Geldes«, schaltete sich Niemeyer wieder ein. »Einige der Verdächtigen haben im Laufe der Zeit ein beträchtliches Vermögen angehäuft. Indem wir die Geldflüsse rekonstruieren, hoffen wir, einen Zusammenhang mit den RAF-Überfällen herstellen zu können.«
»Die Überfälle hörten mit dem offiziellen Ende der RAF ja nicht auf«, ergänzte Dickbier. »Als Horst Ludwig Meyer, der zumindest anfangs der dritten Generation angehörte, 1999 in Wien erschossen wurde, plante er offenbar gerade einen Überfall. Zuvor hatte er in Wien einen Supermarkt ausgeraubt. Ebenfalls 1999 wurde in
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