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Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Titel: Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Gelegenheit, den Rentnern in Everskirchen einen Besuch abzustatten. Bei diesem Wetter würden sie sich bestimmt nicht vor die Tür trauen.

    Vorher musste ich allerdings meine Leibwache loswerden. Der Wagen mit den beiden Polizisten, die vor dem Haus gewartet hatten, setzte sich sofort in Bewegung, als ich meinen Audi startete. Ich fuhr zum Ring und dann nach Osten. Der Schneefall war heftiger, als ich gedacht hatte, auf den Straßen stapelte sich die weiße Masse bereits mehrere Zentimeter hoch. Die Autos krochen im Schneckentempo vorwärts und die Ampelsteuerung war ausgefallen, die meisten Ampeln blinkten monochrom gelb. Nach einer Viertelstunde erreichte ich den Schiffahrter Damm, eine Strecke, für die ich gewöhnlich fünf Minuten brauchte. Ich bog nach Norden ab, Richtung Greven. Ab und zu schaute ich in den Rückspiegel. Der Wagen meiner Verfolger klebte so dicht an meiner Stoßstange, dass ich im Scheinwerferlicht der entgegenkommenden Fahrzeuge ihre Gesichter erkennen konnte. Je weiter wir uns von Münster entfernten, desto missmutiger starrten sie auf meinen Hinterkopf. Vermutlich hätte ich ihnen sogar einen Gefallen getan, wenn es mir gelungen wäre, sie durch eine überraschende Aktion abzuhängen. Doch bei dreißig Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit und dichtem Verkehr bedeutete jedes Überholmanöver nichts anderes als ein Selbstmordversuch.
    Ich steckte mir einen Zigarillo an und paffte den Rauch durch den geöffneten Fensterspalt. Aus dem Autoradio drangen immer mehr Katastrophenmeldungen. In Teilen des Münsterlandes war der Strom ausgefallen. Züge blieben stecken, weil umgeknickte Bäume auf den Schienen lagen. Und auf der A 31 staute sich der Verkehr wegen eines gerissenen Stromkabels über dreißig Kilometer. Die Autofahrer wurden gebeten, in ihren Autos zu bleiben, mit einer Behebung des Schadens sei erst in einigen Stunden zu rechnen. Experten analysierten, dass sich der feuchte Pappschnee tonnenschwer auf die Überlandleitungen gelegt und dadurch Strommasten zu Fall gebracht hatte. Gleich reihenweise waren die gigantischen Stahlkolosse umgeknickt, mit dem Effekt, dass im nördlichen Münsterland der Notstand herrschte. In Supermärkten, die über eigene Generatoren verfügten, wurden die Regale leer gekauft, vor allem Brennholz, Gasbrenner, Kerzen und Taschenlampen fanden reißenden Absatz. Wer keinen Kamin besaß, durfte sich auf ein paar kalte Tage und Nächte einrichten.
    Vor mir kroch ein Lastwagen eine leichte Steigung hinauf. Zuerst schien das auch zu gelingen, doch dann drehten vorn die Räder durch, der Anhänger begann, sich quer zu stellen. Ich scherte nach links aus und sah, dass gerade kein Gegenverkehr drohte. Das war die Chance, auf die ich gewartet hatte. Ich gab Gas, der Wagen schleuderte in die Lücke, die immer enger wurde, weil sich von rechts das Führerhaus des Lastwagens näherte. Der Lastwagenfahrer drückte wie verrückt auf die Hupe. Ich umklammerte das Lenkrad und atmete erst weiter, als ich etwas Dunkles im Rückspiegel auftauchen sah. Das Führerhaus hatte mich um ein paar Zentimeter verfehlt und rutschte in die seitliche Böschung. Hinter mir war die Straße dicht. Falls sie keinen Peilsender an meinem Wagen befestigt hatten, würden die Polizisten mich erst wieder zu Gesicht bekommen, wenn ich es wollte.

    Von Greven aus fuhr ich über die B 481 nach Emsdetten und dann Richtung Steinfurt. Es hörte nicht auf zu schneien, mittlerweile lagen bestimmt fünfzehn oder zwanzig Zentimeter Schnee auf den Straßen und die wenigen Räumfahrzeuge, die unterwegs waren, schafften es nicht, die Fahrbahnen frei zu schaufeln. In mittleren alpinen Lagen mochte ein solches Wetter Alltag sein, für die ungeübten münsterländischen Autofahrer, die ihre Sommerreifen spazieren fuhren, war es der reinste Horror. Alle paar hundert Meter lag ein Pkw im Graben oder blockierte ein Lkw die Fahrbahn. Nur mit Glück und etwas Verstand gelang es mir, alle Hindernisse zu umkurven und vorwärtszukommen. Mehrmals entging ich knapp einem Auffahrunfall. Eigentlich war es verrückt, hier herumzurutschen und mindestens einen Blechschaden zu riskieren. Andererseits hatte ich den größten Teil der Strecke schon zurückgelegt, jetzt umzukehren war genauso gefährlich wie weiterzufahren.
    In Steinfurt erreichte ich die dunkle Zone. Ohne Straßenlaternen, Leuchtreklamen und beleuchtete Fenster wirkte der Ort wie eine Geisterstadt. Menschen pilgerten durch die Straßen oder diskutierten

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