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Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Titel: Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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miteinander. In ihren Gesichtern spiegelten sich Ärger, Verwunderung und auch Sensationslust. Offenbar genossen viele ihre unfreiwilligen Statistenrollen in dem Katastrophenfilm, den sie live zur besten Sendezeit geboten bekamen.
    Einige Lichtinseln, Supermärkte oder Tankstellen mit eigenen Generatoren, zogen die Umherschweifenden magisch an. Man kaufte, was es zu kaufen gab, beladen mit Kartons und Tüten schleppten ganze Familien ihre Beute nach Hause, als gelte es, bis zum nächsten Frühling oder wenigstens dem Eintreffen der Suchmannschaften zu überleben.
    Eine halbe Stunde später kam ich nach Ochtrup, von hier waren es nur noch wenige Kilometer bis Everskirchen. Zwischen Ochtrup und Everskirchen entdeckte ich eine geöffnete Tankstelle, die nicht allzu überlaufen war. Ich hielt an, um mich selbst mit Proviant zu versorgen. Trotz des Glücks, das ich bislang gehabt hatte, musste ich damit rechnen, den Rest der Nacht im Auto zu verbringen.
    Als ich an der Kasse bezahlte, erkundigte ich mich nach der Siedlung, die mein Navigator in einem Waldstück westlich von Everskirchen geortet hatte. Nicht weil ich dem Navigator nicht traute, sondern weil ich hoffte, der vollbärtige Tankwart mit der roten Säufernase würde mir etwas darüber erzählen.
    »Klein-Wandlitz meinen Sie?«, fragte der Tankwart zurück und lachte über seinen eigenen Witz. »Diese Bonzensiedlung?«
    »Gut möglich, dass wir über dasselbe reden.«
    Er beschrieb mir den Weg. »Haben Sie denn einen Passierschein?« Erneutes Lachen.
    »Brauche ich den?«
    »Stacheldraht und Sicherheitsdienst, sage ich nur. Alles vom Feinsten. Die haben sich im Wald eingegraben, als hätten sie Angst vor dem Dritten Weltkrieg. Komische Leute sind das. In Everskirchen will mit denen keiner was zu tun haben.«
    Er gab mir das Wechselgeld und griff nach dem Toastbrot, das ihm mein Hintermann entgegenstreckte.
    Das letzte Wegstück, das zur Siedlung führte, war als Sackgasse und mit dem Hinweis Nur Anwohner gekennzeichnet. Ich stellte meinen Wagen in Everskirchen ab und machte mich zu Fuß auf den Weg. Besser gesagt, ich stapfte durch den pappigen Tiefschnee, der bald meine Schuhe und Hosenbeine durchnässte. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal daran denken, Schneeschuhe und Skianzug einzupacken.
    Und dann sah ich die Siedlung. Die Villen waren hell erleuchtet, als würde es keinen Stromausfall geben, in gebührendem Abstand von den äußeren Häusern fräste ein Maschendrahtzaun mit gerollter Stacheldrahtkrone eine Schneise in den Wald, die Einfahrt zur Siedlung war durch eine Schranke versperrt und neben der Schranke stand ein Häuschen, in dem tatsächlich ein Wachmann saß. Insgesamt war die Siedlung nicht ganz so perfekt gesichert wie das Walddomizil der DDR-Elite bei Wandlitz, aber es kam nahe heran.

XV
    Ich zog ein kleines Fernglas aus der Jackentasche und richtete es auf die Häuser. In einigen Wohnzimmern konnte ich Rentnerehepaare erkennen, die friedlich auf Sofas saßen und sich im Fernsehen die Katastrophe anschauten, die sich um sie herum abspielte. Die Männer trugen Strickjacken, manchmal kombiniert mit Krawatten. Ehrbare Bürger, denen man Kidnapping und Mord nicht zutrauen würde.
    Ich ließ meinen Blick weiter über das Gelände schweifen. Ein schlichtes Haus mit Hundezwinger beherbergte wohl die Wachmannschaft. Schwenkbare Videokameras an den Eckpunkten des Areals ließen darauf schließen, dass es jemanden gab, der die daran angeschlossenen Monitore im Auge behielt.
    Im Schutz des angrenzenden Waldes ging ich langsam um die Siedlung herum. Etliche kleine Geräteschuppen waren über die Gärten verstreut und in einer der hinteren Ecken, nur wenige Meter vom Zaun entfernt, befand sich ein größeres, fensterloses Gebäude. Vermutlich ein Depot für gemeinschaftlich genutzte Maschinen und Materialien. Falls man Felizia Sanddorn in der Siedlung gefangen hielt, kamen dafür alle Keller, Dachgeschosse oder Garagen infrage. Doch instinktiv tippte ich darauf, dass keiner die Journalistin in seinem eigenen Haus haben wollte. Auf der Liste der Gebäude, die ich mir gern genauer angeschaut hätte, stand das Depot an oberster Stelle. Das Problem war nur, dass ich dafür den Zaun überwinden musste.
    Als ich die Rückseite der Siedlung erreichte, sah ich die Lösung. Die Wetterkatastrophe hatte auch ihr Gutes: Auf einem Abschnitt des Zauns, der wegen seiner großen Entfernung zu den Häusern kaum beleuchtet war, lagen mehrere Bäume, die unter der

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