Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation
Er trug eine Schiebermütze, während sein Kollege auf die wärmende Wirkung eines Toupets vertraute.
»Zeigen Sie mich an!«, verlangte ich. »Die Polizei weiß ohnehin, dass ich hier bin. Man hat mich beschattet.«
Er lächelte dünn. »Bis kurz vor Greven, wenn ich richtig informiert bin.«
Mein Magen krampfte sich zusammen. Die Selbstsicherheit des Alten war nicht gespielt. Er wusste verdammt gut, dass ich meinen letzten Trumpf schon ausgespielt hatte.
Ohne mich aus den Augen zu lassen, rief er den Wachmännern zu: »Schafft ihn ins Lager!«
»Lager? Meinen Sie Arbeitslager? Oder Konzentrationslager?«
»Die Scherze werden Ihnen noch vergehen«, sagte der Toupetträger humorlos.
Die nächste Zeit verbrachte ich in völliger Dunkelheit. Das Lager, identisch mit dem Depot, zu dem ich auf dem Weg gewesen war, besaß zwar eine Beleuchtung, aber die hatten sie ausgeschaltet, nachdem sie mich auf einer hölzernen Gartenliege festgeschnallt hatten.
Die Liege gehörte zu einem ganzen Ensemble von Gartenmöbeln, Sonnenschirmen und anderen Utensilien, die hier bis zum nächsten lauschigen Sommerfest oder zünftigen Grillabend überwinterten. Zwischen Bratwürsten und marinierten Lammfilets tauschten die Senioren dann wohl Anekdoten über ihren heroischen Kampf gegen den Terrorismus aus. Außerdem hatte ich noch zwei Rasenmäher mit Fahrersitzen und andere Gartengeräte gesehen. Jedoch nichts, was sich dafür geeignet hätte, Entführungsopfer zu verstecken. Trotzdem hatte ich ein paarmal laut »Hallo« gerufen, allerdings keine Antwort bekommen.
Das Zeitgefühl war mir längst abhandengekommen. Ob ich bereits drei oder erst eine Stunde auf der Liege verbrachte, konnte ich nicht sagen. Anscheinend gab es in der Seniorenriege Beratungsbedarf über mein Schicksal.
Ich versuchte, mich zu entspannen. Und tatsächlich war ich leicht eingedöst, als sich an der Tür etwas tat. Die Neonröhren flackerten auf und ich blinzelte wie ein Maulwurf in das grelle Licht.
Die Goldrandbrille mit Mütze schob sich in mein Blickfeld. »Wir haben ein paar Fragen an Sie.«
»Das ist nett.« Mein Mund fühlte sich pelzig an. »Ich schlage vor, dass wir das bei einem Bier in Ihrem Haus besprechen.«
Er lachte meckernd. »Sie sind wirklich witzig, Wilsberg.«
»Sagen Sie das Ihrem Freund mit dem Toupet.«
Die Rückenlehne des Liegestuhls wurde hochgedrückt, ich kam in eine halbwegs sitzende Position. Ein dritter alter Mann, ohne Goldrandbrille, dafür mit der Gestalt eines Sumo-Ringers und dem blanken Schädel eines osmanischen Eunuchen ausgestattet, stellte schnaufend ein Tischchen neben mir ab. Dann postierte er eine Ampulle und eine verpackte Einwegspritze auf der Tischplatte.
Ich spürte einen Kloß im Hals. »Was ist das? Gift?«
»Wo denken Sie hin!«, sagte Schiebermütze, während er die Spritze von der Verpackung befreite und aufzog. »Ein Mittel, das uns das Gespräch erleichtern soll. Natriumpentothal. Früher nannte man es Wahrheitsserum. Die Bezeichnung ist etwas übertrieben. In erster Linie dient es Ihrer Entspannung.«
»Ich bin schon entspannt«, sagte ich.
Er krempelte meinen Ärmel hoch, band den Oberarm mit einem Riemen ab und suchte nach einer Vene. »Es hat ein paar kleine Nebenwirkungen. Aber das werden Sie ja merken.«
Es pikste, als sich die Spritze in die Vene bohrte.
Der Verhörspezialist richtete sich auf und betrachtete mich zufrieden. »In einer Minute sind wir so weit.«
Zuerst merkte ich nicht viel. Die Konturen der beiden Männer verschwammen ein wenig und meine Haut kribbelte, als würde ich einen Neurodermitisschub bekommen. Ich rutschte auf der Liege herum, da ich mich nicht kratzen konnte.
»Juckt’s?«, fragte Mütze mitfühlend.
»Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Dreck!«, sagte ich grob. So plump hätte ich mich normalerweise nicht ausgedrückt. Es musste an diesem Natriumdingsbums liegen.
»Histaminausschüttung ist eine der möglichen Nebenwirkungen. Das hätte ich Ihnen vielleicht sagen sollen.«
»Lecken Sie mich!«
»Lassen Sie es ruhig raus!«, sagte er ungerührt. »Sie mögen mich nicht, oder?«
»Nein, ganz und gar nicht.«
Seine Ohren wurden größer und aus den Ohrmuscheln wuchsen dichte Haarbüschel. Auch die Schneidezähne waren länger geworden. Das ganze Gesicht hatte etwas Wölfisches bekommen. Ein Wolf mit Goldrandbrille. Dr. Wolf, der Werwolf von Everskirchen.
»Porphyria cutanea«, sagte ich, »die Werwolfkrankheit. Leiden Sie unter
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