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Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Titel: Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Schneelast zusammengebrochen waren. Ich würde nur über einen der Baumstämme klettern müssen und schon wäre ich auf dem Gelände, ohne mit dem Stacheldraht oder irgendwelchen elektronischen Sicherungsanlagen in Berührung gekommen zu sein.
    Ich schaute mich um. Kein Mensch zu sehen. Bei solchem Wetter blieben auch Wachmänner lieber in der Nähe der Heizung. Vorsichtig robbte ich den schräg liegenden Baumstamm hoch und sprang auf der anderen Seite des Zauns wieder hinunter. Im Haus der Wachmannschaft blieb es ruhig. Allerdings stand mir der schwierigere Teil des Unternehmens noch bevor. Zwischen meinem Standort und dem Depot lagen geschätzte dreihundert Meter. Dreihundert Meter, die ich ohne Deckung und durch unberührten Tiefschnee zurücklegen musste. Auffälligere Fußabdrücke waren nur in den Dinosaurierabteilungen der paläontologischen Museen zu sehen.
    Ich stapfte los und schaute immer wieder zum Wachhaus. Als ich zwei Drittel der Strecke geschafft hatte, hörte ich, wie ein Motor gestartet wurde. Und dann sah ich auch schon den Geländewagen, der auf mich zusteuerte. Bei zwanzig Zentimeter weniger Schnee hätte ich es vielleicht zurück zum Zaun geschafft. So blieb mir nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass sie mich einsammelten.
    Direkt vor mir kam der Wagen zum Stehen. Vom Scheinwerferlicht geblendet, hob ich die Arme. Wagentüren wurden geöffnet, dann hörte ich das Japsen eines Hundes. Sehen konnte ich noch nichts.
    »Was machen Sie hier?«, fragte eine Männerstimme von links.
    »Ich dachte mir schon, dass es Ärger geben könnte«, sagte ich. »Mein Wagen ist auf der anderen Seite liegen geblieben.« Ich deutete mit dem Daumen über meine Schulter. »Ich muss so schnell wie möglich nach Everskirchen. Deshalb wollte ich die Abkürzung durch die Siedlung nehmen.«
    »Da gehen Sie aber in die falsche Richtung«, sagte eine Männerstimme von rechts.
    »Tatsächlich?«
    Die Männer kamen näher, sodass ich endlich ihre Umrisse erkennen konnte. Der linke Mann führte einen Schäferhund an der kurzen Leine, der rechte stützte seine Hand auf einem Pistolengriff an der Hüfte ab.
    Ich ließ die Arme sinken.
    »Behalten Sie die Arme oben!«, sagte der Rechte.
    Ich hob die Arme wieder.
    »Ich glaube, Sie lügen uns an«, sagte der Linke.
    »Hören Sie! Bringen Sie mich einfach zur Straße. Dann ersparen wir uns gemeinsam irgendwelche Scherereien mit der Polizei. Ich habe ja nichts geklaut oder kaputtgemacht. Ich bin nur über diesen Zaun geklettert.«
    »Wenn das so einfach wäre«, sagte der Linke. Das Maul des Schäferhundes war jetzt dicht vor meinen Beinen. Ein bisschen mehr Leine und das knurrende Vieh würde mich womöglich beißen.
    Der rechte Mann trat hinter mich und drehte mir die Arme auf den Rücken. Schmerzhaft legten sich kantige Plastikbänder um meine Handgelenke.

    Zehn Minuten später saß ich in einem gut geheizten und schlicht möblierten Zimmer im Haus der Wachleute. Das schmale Bett und der Fernseher auf dem Schränkchen deuteten darauf hin, dass es vom Bereitschaftsdienst für einen kurzen Schlaf oder ein bisschen Entspannung genutzt wurde. Meine Hände waren immer noch auf dem Rücken gefesselt, jede Bewegung schnürte die Bänder enger zusammen und verstärkte den Schmerz.
    Alle Versuche, mit den Wachmännern ins Gespräch zu kommen, hatten zu demselben Ergebnis geführt: eisigem Schweigen. Selbst als ich energisch darauf bestand, der Polizei übergeben zu werden, hatten sie sich taub gestellt. Offenbar waren sie nicht befugt, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Mit dem Personalausweis, den sie in meinem Portemonnaie gefunden hatten, hatte sich einer von ihnen ans Telefon gehängt und Bericht erstattet. Seitdem waren fünf Minuten vergangen.
    Ich hörte, wie sich die Haustür öffnete. Eine Altmännerstimme fragte: »Wo ist er?«
    »Im Nebenzimmer«, sagte der Wachmann.
    Sie kamen ebenfalls zu zweit. Zwei Männer um die siebzig mit hängenden Wangen, Goldrandbrillen und schlaffem Bauchfleisch. Einen der beiden hatte ich durch das Fernglas beobachtet, jetzt trug er eine Winterjacke über seiner Strickjacke. Wahrscheinlich waren sie die Vorsitzenden des Wohlfahrtskomitees der Siedlung, das darüber befand, wer unter die Guillotine gelegt wurde.
    Sie betrachteten mich mit offenkundigem Missfallen. Allmählich bereute ich, dass ich meine Verfolger abgehängt hatte.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so dumm sind«, sagte der Alte, der sich nach mir erkundigt hatte.

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