Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
verstehe nicht viel von Künstlern.»
«Sie dürfen es mir abnehmen. Der Maler malte also das Porträt, wie er es sah, und brachte die ganze gemeine, niederträchtige, schmutzige Seele des Mannes für aller Augen sichtbar auf die Leinwand.»
Inspektor Winterbottom starrte das Porträt an, und das Porträt starrte höhnisch zurück.
«Ein schmeichelhaftes Bildnis ist es gewiß nicht», räumte er ein.
«Nun, wenn ein Maler jemandes Porträt malt», fuhr Wimsey fort, «dann ist dessen Gesicht für ihn nie mehr, was es vorher war. Das ist wie – womit soll ich es vergleichen? Es geht ihm ungefähr wie dem Artilleristen, der eine Landschaft sieht, in die er postiert wird. Er sieht sie nicht als Landschaft. Er sieht nichts von ihrer zauberhaften Schönheit, ihren herrlichen Formen und Farben. Er sieht nur Deckungen, Richtpunkte zum Zielen und Geschützstellungen. Und wenn der Krieg vorbei ist und er wieder einmal in diese Gegend kommt, sieht er sie immer noch als Deckungen, Richtpunkte und Geschützstellungen. Es ist für ihn keine Landschaft mehr, sondern eine Lageskizze.»
«Ich kenne das», sagte Inspektor Winterbottom. «Ich war selbst Artillerist.»
«Ein Maler bekommt dasselbe Gefühl tödlicher Vertrautheit mit jedem Zug des Gesichts, das er einmal gemalt hat», sprach Wimsey weiter. «Und wenn es ein Gesicht ist, das er haßt, dann haßt er es mit einem neuen, noch stärkeren Haß. Das ist wie bei einer defekten Drehorgel, die unentwegt dieselbe nervtötende Melodie leiert und immer wieder an derselben Stelle denselben gräßlichen falschen Ton von sich gibt.»
«Mein Gott, wie Sie reden können!» entfuhr es dem Inspektor.
«Und so erging es unserem Maler mit dem verhaßten Gesicht dieses Mannes. Tag für Tag mußte er es sehen. Entrinnen konnte er ihm nicht, weil er an seine Arbeitsstelle gefesselt war.»
«Dann hätte er die Fessel losschneiden müssen», sagte der Inspektor. «Mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man nicht leiden kann, hat doch gar keinen Sinn.»
«Nun, er sagte sich wohl, daß er ihm ja wenigstens im Urlaub für kurze Zeit entrinnen konnte. Er kannte da ein schönes, stilles Plätzchen irgendwo an der Westküste, wohin nie ein Mensch kam. Er war schon einmal dort gewesen und hatte die Stelle gemalt. Ach, da fällt mir übrigens ein, daß ich Ihnen noch ein anderes Bild zeigen wollte.»
Er ging zum Schreibtisch und holte ein kleines Ölbild aus einer Schublade.
«Das habe ich vor Jahren einmal auf einer Ausstellung in Manchester gesehen, und zufällig ist mir der Name des Händlers wieder eingefallen, der es damals gekauft hat.»
Inspektor Winterbottom starrte das Bild mit aufgerissenem Mund an.
«Aber das ist ja East Felpham!» rief er.
«So ist es. Es ist nur mit ‹T.C.› signiert, aber die Technik ist ja wohl unverwechselbar, finden Sie nicht?»
Der Inspektor verstand zwar wenig von Maltechnik, aber die Initialen verstand er. Er schaute von dem Porträt zu dem Landschaftsbild und wieder zu Lord Peter.
«Der Maler–»
«Crowder?»
«Wenn es Ihnen recht ist, nenne ich ihn weiter den Maler. Er lud seine Siebensachen auf sein Fahrrad und verfrachtete seine strapazierten Nerven zu diesem geliebten, heimlichen Plätzchen, um dort ein ruhiges Wochenende zu genießen. Er wohnte in einem ruhigen kleinen Hotel in der Umgebung, und jeden Morgen fuhr er mit dem Rad zu diesem hübschen kleinen Strand, um ein Bad zu nehmen. Im Hotel erzählte er nie jemandem, wohin er fuhr, denn das war sein Strand, und er wollte nicht, daß andere ihn fänden.»
Inspektor Winterbottom legte das Bild auf den Tisch und schenkte sich einen Whisky ein.
«Eines Morgens – zufällig war es der Montagmorgen –»
Wimseys Erzählung wurde langsamer, zögernder – «fuhr er wieder dorthin. Die Flut war noch nicht wieder ganz da, aber er lief über die Felsen zu einer Stelle, wo er wußte, daß dort eine schöne tiefe Stelle zum Baden war. Er sprang hinein und schwamm herum und ließ die Mißklänge seines Kummers verschlucken von des Meeres unzählbarem Lachen.»
«Hä?»
«Kυμάτωυ αυήρμου γέλασμα – klassisches Zitat. Manche Leute meinen, damit seien die gekräuselten Wogen im Sonnenschein gemeint – aber wie hätte Prometheus, an den Felsen gekettet, sie sehen können? Zweifellos war es das Glucksen der hereinströmenden Flut zwischen den Steinen, was da an dem einsamen Felsgipfel, wo der Geier an seinem Herzen fraß, an seine Ohren drang. Ich weiß noch, wie ich in der Schule
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