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Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Titel: Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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mit dem alten Philpotts darüber gestritten und eins über die Finger bekommen habe, weil ich ihm widersprach. Damals wußte ich nämlich nicht, daß er gerade eine eigene Übersetzung herausbrachte, sonst hätte ich ihm bestimmt noch unverschämter widersprochen und die Hose runterziehen müssen. Der gute alte Philpotts!»
    «Davon verstehe ich nichts», sagte der Inspektor.
    «Entschuldigung. Eine schreckliche Angewohnheit von mir, immer so abzuschweifen. Der Maler – nun, er schwamm um das Ende des Felsausläufers, weil mittlerweile die Flut voll da war, und wie er da so vom Meer hereinkam, sah er einen Mann am Strand stehen – an diesem geliebten Strand, wohlgemerkt, den er als seinen geheiligten Hafen des Friedens ansah. Während er auf den Strand zuwatete, verfluchte er dieses Touristengesindel, das sich mit seinen Zigarettenpackungen und Kameras und Grammophonen überall ausbreiten mußte – und dann sah er, daß es ein bekanntes Gesicht war. Es war ein klarer, sonniger Morgen, und er erkannte jeden einzelnen verhaßten Zug in diesem Gesicht. Und obwohl es noch früh am Tag war, kam die Hitze gleich einer Dunstwolke über das Meer gezogen.»
    «Ja, es war ein heißes Wochenende», sagte der Inspektor.
    «Und dann rief der Mann ihn mit seiner selbstzufriedenen, affektierten Stimme an. ‹Hallo!› sagte er. ‹Sie hier? Wie haben Sie denn mein hübsches Badeplätzchen gefunden?› Das war zuviel für den Maler. Es war ein Gefühl, als wenn man ihm seine letzte Zufluchtsstätte geraubt hätte. Er sprang dem Mann an die magere Kehle – es ist ja ein ziemlich dürrer Hals, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, mit vorstehendem Adamsapfel – ein provozierender Hals. Das Wasser plätscherte um ihre Füße, als sie hin und her schwankten. Er fühlte seine Daumen in das Fleisch eindringen, das er gemalt hatte. Er sah mit Frohlocken, wie die allzu vertrauten, verhaßten Gesichtszüge sich veränderten, anschwollen zu einem unkenntlichen Dunkelrot. Er sah die eingefallenen Augen vortreten und den schmalen Mund sich verzerren, als die schwarze Zunge herausquoll – ich mache Sie hoffentlich nicht nervös, Inspektor?»
    Der Inspektor lachte.
    «Kein bißchen. Ich finde es nur herrlich, wie Sie die Dinge zu schildern verstehen. Sie sollten ein Buch schreiben.»
    « Ich singe, wie die Drossel singt,
die in den Zweigen nistet » ,
    antwortete Seine Lordschaft lässig und fuhr ohne jeden weiteren Kommentar fort: «Der Maler erwürgte ihn. Er warf ihn rückwärts in den Sand. Er sah ihn an, und sein Herz jubilierte. Er streckte die Hand aus und fand eine zerbrochene Flasche mit schön gezackten Kanten. Er ging mit Eifer an die Arbeit und zerstampfte und zerschnitt jeden Zug dieses Gesichts, das er so gut kannte und so haßte. Er löschte es aus und vernichtete es gründlich.
    Dann setzte er sich neben sein Werk. Jetzt bekam er es mit der Angst. Sie hatten beim Kampf das Wasser verlassen, und seine Fußspuren waren im Sand. Er hatte Blut an Gesicht und Händen und an der Badehose, und er hatte sich die Hand an der Flasche geschnitten. Aber das gute Meer stieg immer noch. Er sah es über die Blutflecken und Fußspuren spülen und die Geschichte seines Wahnsinns auslöschen. Er erinnerte sich, daß der Mann ja fortgefahren war, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Schritt für Schritt ging er ins Wasser zurück, und als es ihm bis zur Brust reichte, sah er die roten Flecken sich auflösen wie ein Nebelschleier im Braunblau der Flut. Er ging weiter, watete, schwamm, tauchte Gesicht und Arme tief ins Wasser und schaute hin und wieder zurück, um zu sehen, was er da zurückgelassen hatte. Ich glaube, als er dann an die Stelle auf dem Felsen kam und sich gesäubert hinaufschwang, kam ihm erstmals der Gedanke, daß er die Leiche hätte mitnehmen und von der Flut davontragen lassen sollen, aber dafür war es nun zu spät. Er war wieder sauber und hätte es nicht über sich gebracht, noch einmal zurückzuschwimmen und das Ding zu holen. Außerdem war er schon spät dran, und im Hotel würde man sich wundern, wenn er nicht rechtzeitig zum Frühstück wieder da war. Leichtfüßig lief er über die Felsen und das Gras, das keine Spuren annahm. Er zog sich an und achtete darauf, daß er nur ja nichts zurückließ, was sein Hiersein verriet. Den Wagen, der einen ganzen Roman erzählt hätte, nahm er mit. Das Fahrrad verstaute er auf dem Rücksitz unter Dekken, und dann fuhr er – Sie wissen so gut wie ich, wohin er fuhr.»
    Lord Peter

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