Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
und nach Hause gegangen waren. Er ist also weiter zur Sakristei gegangen, um seine Gewänder und so weiter zurechtzulegen, und zu seinem großen Erstaunen hörte er da von drinnen Frauenstimmen rufen. Er war so verdutzt, daß er gar nicht mehr wußte, wo er war, aber er ist dann doch hingegangen und hat die Tür aufgeschlossen –»
«Mit seinem eigenen Schlüssel?» fragte Wimsey dazwischen.
«Der Schlüssel steckte. In der Regel hängt er an einem Nagel unter einem Vorhang bei der Orgel, aber heute steckte er im Schloß – wo er nicht hingehört. Und in der Sakristei fand er Mrs. Hancock und ihre Tochter, halbtot vor Angst und Empörung.»
«Heilige Neune!»
«Das kann man wohl sagen. Und sie hatten eine haarsträubende Geschichte zu erzählen. Sie hatten um zwei Uhr die anderen beiden Beter abgelöst und sich vor dem Sarg hingekniet, ganz wie geplant, um die entsprechenden Gebete zu verrichten – was das auch immer für welche sind. Sie waren, soweit sie das noch sagen können, etwa zehn Minuten dort, als sie am Hochaltar ein Geräusch hörten, als ob dort jemand herumschliche. Miss Hancock ist ein sehr beherztes Mädchen. Sie stand auf und ging im Dunkeln das Kirchenschiff hinauf, gefolgt von Mrs. Hancock, die, wie sie sagt, nicht gern allein gelassen werden wollte. Als sie am Altargitter waren, rief Miss Hancock laut: ‹Wer ist da?› In dem Moment hörten sie ein Rascheln, und dann klang es so, als ob etwas umgeworfen würde. Miss Hancock schnappte sich mutig einen Stab des Kirchendieners, der an einem der Chorstühle steckte, und rannte vorwärts, weil sie dachte, da wolle jemand das Kirchengerät vom Altar stehlen. Zum Beispiel ist darunter ein sehr schönes Kreuz aus dem fünfzehnten Jahrhundert –»
«Das Kreuz ist doch jetzt unwichtig, Tom. Es wurde ja nicht gestohlen.»
«Das nicht, aber Miss Hancock glaubte es. Jedenfalls, als sie an die Altarstufen kam, immer noch dicht gefolgt von Mrs. Hancock, die sie inständig bat, vorsichtig zu sein, da muß jemand aus einem der Chorstühle herausgesprungen sein, der sie bei den Armen packte und in die Sakristei ‹abführte›, wie sie es nennt. Und bevor sie auch nur zum Schreien Luft holen konnte, wurde Mrs. Hancock neben ihr in die Sakristei gestoßen und die Tür zugeschlossen.»
«Beim Zeus! Sie erleben ja aufregende Zeiten in diesem Dorf.»
«Nun ja», sagte Mr. Frobisher-Pym. «Natürlich lebten die beiden in Todesängsten, denn sie konnten ja nicht wissen, ob diese Verbrecher nicht wiederkommen und sie ermorden würden, und zumindest mußten sie ja annehmen, die Kirche würde ausgeplündert. Aber die Sakristeifenster sind sehr schmal und zudem vergittert, so daß sie nichts anderes tun konnten als warten. Sie versuchten zu horchen, aber viel hörten sie nicht. Sie konnten nur hoffen, daß ihre Ablösung für vier Uhr etwas früher eintreffen und die Diebe auf frischer Tat ertappen würde. Aber sie warteten und warteten, und es schlug vier Uhr und fünf Uhr, und niemand kam.»
«Was ist denn aus Rawlinson und diesem Dingsda geworden?»
«Das konnten sie zunächst nicht feststellen, und Grinch auch nicht. Aber sie haben sich sehr genau in der Kirche umgesehen, und anscheinend war nichts gestohlen und auch nichts zerstört worden. Gerade in dem Moment kam dann der Pfarrer dazu, und sie erzählten ihm alles. Er war natürlich über die Maßen schockiert, und sein erster Gedanke war – nachdem er gesehen hatte, daß alles Kirchengerät noch da war und auch der Opferstock nicht aufgebrochen war –, daß irgendwelche Kensititen die Hostien aus dem Was-weiß-ich gestohlen haben könnten.»
«Aus dem Tabernakel», half Wimsey nach.
«Ja, so heißt er wohl. Das war seine größte Sorge, und er hat ihn aufgeschlossen und nachgesehen, aber die Hostien waren noch alle da, und da es nur den einen Schlüssel dazu gibt und er ihn immer an seiner Uhrkette hängen hat, konnte es wohl auch nicht sein, daß jemand die geweihten Hostien gegen ungeweihte vertauscht oder irgendeinen Streich in der Art gespielt haben könnte. Daraufhin schickte er also Mrs. und Miss Hancock nach Hause und sah sich auch einmal außerhalb der Kirche um, und das erste, was er da sah, war das Motorrad vom jungen Rawlinson, das beim Südportal in den Büschen lag.»
«Oho!»
«Sein nächster Gedanke war also, nach Rawlinson und Hubbard zu suchen. Aber da brauchte er nicht einmal weit zu suchen. Er war erst bis zum Heizungskeller an der Nordseite gekommen, als er dort einen
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