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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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auf, um ihn nach Brights Charakter und seinem Woher und Wohin zu befragen.
    Anschließend faßte er die Beweisaufnahme zusammen. Er machte kein Hehl aus seiner persönlichen Auffassung, daß Alexis sich selbst das Leben genommen habe. (Zusammenhanglose Proteste von Mrs. Weldon.) Warum er es getan habe, dies zu entscheiden, sei nicht Sache des Gerichts. Es seien verschiedene mögliche Motive vorgetragen worden, und die Geschworenen sollten bedenken, daß der Verstorbene ein gebürtiger Russe und daher leicht erregbar und anfällig für Melancholie und Verzweiflung gewesen sei. Er selbst habe schon viele russische Bücher gelesen und könne den Geschworenen versichern, daß Selbstmord unter den Angehörigen dieses unglücklichen Volkes eine sehr häufige Erscheinung sei. Sie, die sie das Glück hätten, Briten zu sein, könnten das vielleicht nur schwer verstehen, aber sie dürften es ihm ruhig glauben. Sie hätten eindeutige Indizien dafür vorliegen, wie das Rasiermesser in Alexis’ Hände gelangt sei, und dem Irrtum, der dem Zeugen Bright hinsichtlich der Gezeiten unterlaufen sei, brauchten sie kein allzu großes Gewicht beizumessen. Alexis habe sich nicht rasiert – wozu habe er also ein Rasiermesser gebraucht, wenn nicht zum Selbstmord? Er (der Untersuchungsrichter) wolle jedoch vollkommen unvoreingenommen sein und auch die wenigen Punkte nicht unerwähnt lassen, die Zweifel an der Selbstmordtheorie aufkommen lassen könnten. Dies sei einmal die Tatsache, daß Alexis eine Rückfahrkarte gelöst habe. Das zweite sei der Reisepaß. Das dritte sei der Gürtel voll Gold. Sie könnten daraus schließen, daß der Verstorbene sich mit dem Gedanken getragen habe, außer Landes zu gehen. Trotzdem: sei es nicht denkbar, daß er im letzten Augenblick den Mut verloren und den kürzesten Weg aus dem Land und aus dem Leben selbst genommen habe? Merkwürdig sei auch, daß der Verstorbene offenbar mit Handschuhen an den Händen Selbstmord verübt habe, aber Selbstmorde hätten nun einmal stets etwas Merkwürdiges an sich. Und schließlich liege noch Mrs. Weldons (mit der man tiefes Mitgefühl haben müsse) Aussage hinsichtlich des Gemütszustands des Verstorbenen vor; dem aber widersprächen die Aussagen Mr. Brights und Mrs. Lefrancs.
    Kurz und gut, sie hätten es hier mit einem Mann russischen Geblüts und Temperaments zu tun, der in emotionale Verstrickungen geraten, durch den Empfang geheimnisvoller Briefe aus dem Gleichgewicht gebracht worden und offenbar von labilem Charakter gewesen sei. Er habe seine weltlichen Geschäfte abgeschlossen und sich das Rasiermesser besorgt. Man habe ihn an einer einsamen Stelle gefunden, zu der er sich offenbar ohne Begleitung begeben habe, und zwar habe man ihn tot aufgefunden, und das Rasiermesser habe nicht weit von seiner Hand gelegen. Es seien keine Spuren im Sand gewesen außer seinen eigenen, und die Person, die den Toten gefunden habe, sei so kurz nach dem Todeszeitpunkt an den Schauplatz gekommen, daß die Möglichkeit, ein eventueller Mörder habe sich entlang der Küste vom Tatort entfernt, ausgeschlossen werden könne. Der Zeuge Pollock habe geschworen, daß er sich zu dem Zeitpunkt, als der Todesfall sich ereignete, im tiefen Wasser vor der Küste aufgehalten und kein anderes Boot in der Nähe gesehen habe, eine Aussage, die von Miss Vane bestätigt worden sei. Außerdem gebe es keinerlei Hinweise darauf, daß jemand auch nur das geringste Motiv gehabt haben könnte, Alexis zu ermorden, es sei denn, die Geschworenen mäßen den Andeutungen über Erpresser und Bolschewiken irgendwelche Bedeutung bei, obwohl es dafür nicht den winzigsten Anhaltspunkt gebe.
    Wimsey mußte angesichts dieser sehr bequemen Zusammenfassung mit all ihren zweckdienlichen Vermutungen und Verdrängungen zu Umpelty hinübergrinsen. Kein Wort über Spalten im Fels oder das Hufeisen oder Mrs. Weldons Pläne mit ihrem Geld. Die Geschworenen tuschelten miteinander. Eine Pause entstand. Harriet sah Henry Weldon an. Er hatte die Stirn in düstere Falten gelegt und beachtete seine Mutter nicht, die ihm erregt ins Ohr flüsterte.
    Bald erhob sich der Obmann der Geschworenen – ein untersetzter Mensch, der aussah wie ein Bauer.
    »Wir haben einstimmig entschieden«, sagte er, »daß der Verstorbene wegen der durchgeschnittenen Kehle zu Tode gekommen ist, und die meisten von uns glauben, daß er es selbst war; aber es gibt auch welche (hier funkelte er den Freihandelsanhänger an), die wollen unbedingt, daß es

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