Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
Felsen gekommen sei.
»Danke, Inspektor. Darauf kommen wir noch zurück. Gestatten Sie mir, zuerst die medizinische Seite abzuschließen. Sie haben Miss Vanes Bericht über den Fund der Leiche gehört, Doktor, sowie ihre Aussage, daß um zehn Minuten nach zwei Uhr das Blut noch flüssig war. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus hinsichtlich des Todeszeitpunkts?«
»Ich würde sagen, daß der Tod wenige Minuten vor Auffinden der Leiche eingetreten ist. Allerfrühestens um zwei Uhr.«
»Und würde ein Mensch, dem auf die geschilderte Weise die Kehle durchgeschnitten wurde, sehr schnell sterben?«
»Er würde auf der Stelle sterben. Herz und Adern könnten noch ein paar Sekunden lang infolge krampfartiger Muskelzusammenziehungen Blut pumpen, aber der Mensch wäre von dem Augenblick an tot, in dem die großen Blutgefäße durchtrennt würden.«
»Wir können also davon ausgehen, daß die Wunde bestimmt nicht früher als um zwei Uhr zugefügt wurde?«
»So ist es. Zwei Uhr ist die äußerste Grenze. Ich persönlich bin geneigt, einen späteren Zeitpunkt anzunehmen.«
»Danke. Nur noch eine Frage. Sie haben gehört, daß in unmittelbarer Nähe der Leiche ein Rasiermesser gefunden wurde. Inspektor, zeigen Sie dem Zeugen bitte das Rasiermesser. Doktor, läßt das Aussehen der Wunde die Möglichkeit zu, daß sie durch diese Waffe verursacht wurde?«
»Absolut ja. Dieses oder ein ähnliches Rasiermesser wäre ein ideales Instrument für diesen Zweck.«
»Würde es Ihrer Ansicht nach große körperliche Kraft erfordern, mit dieser oder einer ähnlichen Waffe eine solche Wunde zu schlagen?«
»Erhebliche Kraft, ja. Ungewöhnliche Kraft, nein. Es hängt vieles von den Umständen ab.«
»Würden Sie uns erklären, was Sie damit meinen?«
»Bei ernstgemeinten Selbstmordversuchen wurden Wunden dieser Art von Personen durchschnittlicher oder sogar schlechter Konstitution herbeigeführt. Bei einem Mord würde es sehr davon abhängen, ob das Opfer in der Lage war, dem Angriff wirksamen Widerstand entgegenzusetzen.«
»Haben Sie irgendwelche anderen Spuren von Gewaltanwendung an der Leiche gefunden?«
»Keine.«
»Keine Würgemale oder Blutergüsse?«
»Nichts. An der Leiche fiel nichts auf, abgesehen von der natürlichen Einwirkung des Wassers und dem völligen Fehlen von Totenflecken. Letzteres schreibe ich der sehr geringen Menge Blut zu, die noch im Körper war, sowie dem Umstand, daß die Leiche nicht an einer Stelle liegengeblieben ist, sondern kurz nach dem Tod von dem Felsen heruntergespült und im Wasser umhergeworfen wurde.«
»Läßt der Zustand der Leiche Ihrer Ansicht nach eher auf Selbstmord oder auf Mord schließen?«
»Meiner Ansicht nach und unter Einbeziehung aller Umstände erscheint mir Selbstmord wahrscheinlicher. Das einzige, was dagegen spricht, ist das Fehlen oberflächlicher Schnittwunden. Es ist ziemlich selten, daß ein Selbstmord gleich beim ersten Versuch erfolgreich ist, allerdings ist der Fall auch keineswegs gänzlich unbekannt.«
»Danke.«
Die nächste Zeugin war Miss Leila Garland, die Mrs. Lefrancs Aussage hinsichtlich der chiffrierten Briefe bestätigte. Darauf folgte natürlich die Frage nach den Beziehungen zwischen Miss Garland und Mr. Alexis, und aus den Antworten ging hervor, daß diese von einer strengen, geradezu viktorianischen Wohlanständigkeit gewesen waren; daß Mr. Alexis es sich sehr zu Herzen genommen habe, als Miss Garland die Freundschaft beendete; daß Mr. Alexis keineswegs der Mensch gewesen sei, dem man einen Selbstmord ohne weiteres zugetraut hätte; daß es (auf der anderen Seite) Miss Garland sehr mitgenommen habe, denken zu müssen, er habe ihretwegen eine Unbesonnenheit begangen; daß Miss Garland nie von einer Person namens Feodora gehört habe, aber sie könne natürlich nicht wissen, was für Dummheiten Mr. Alexis nicht alles in seiner Verzweiflung über das Ende ihrer Freundschaft begangen haben mochte; daß Miss Garland sehr lange nichts mehr von Mr. Alexis gesehen und gehört habe und es ihr unvorstellbar sei, wie jemand annehmen könne, diese schreckliche Geschichte habe etwas mit ihr zu tun. Bezüglich der Briefe glaubte Miss Garland, Mr. Alexis sei erpreßt worden, aber dafür konnte sie keine Beweise vorbringen.
Es war inzwischen klar, daß nichts auf der Welt mehr Mrs. Weldons Zeugenauftritt verhindern konnte. Angetan mit einer Art Witwentracht, protestierte sie entrüstet gegen die Unterstellung, Alexis könne sich Leilas wegen oder überhaupt
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