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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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verborgen. Er schaffte es in einer guten Zeit bis zu den Hütten und begann dann nach Ormonds Nische in der Steilküste Ausschau zu halten. Als er sich ihr näherte, erkannte er sie an den heruntergefallenen Felsbrocken und dem Zaun darüber und sah auf die Uhr. Er war der Zeit noch ein wenig voraus. Bei einem Blick an der Küste entlang sah er deutlich das Satans-Bügeleisen mit Bauer Newcombe darauf, der auf eine Meile Entfernung nur als dunkler kleiner Klumpen erschien. Er hob sich die Erforschung der Nische im Felsen für den Rückweg auf und trieb das Pferd zu schärfstem Galopp an. Die Stute reagierte temperamentvoll, und sie legten das letzte Stück durch spritzendes Wasser in eindrucksvoller Manier zurück. Wimsey sah den Bauern jetzt deutlich; er hatte den Schimmel an den berühmten Ring gebunden und stand, die Uhr gewissenhaft in der Hand, auf dem Felsen, um die Zeit zu nehmen. Erst als sie vor dem Felsen waren, schien die Stute zu begreifen, was hier vor sich ging. Im selben Augenblick erschrak sie, wie von einem Schuß getroffen, riß den Kopf hoch und warf sich so heftig herum, daß Wimsey fast auf ihren Hals flog und um Haaresbreite ganz abgeworfen worden wäre. Er grub die Knie hart in die Flanken des Tiers und riß scharf am Zügel, aber wie die meisten Bauerngäule hatte sie ein Maul wie aus Eisen, und die Trense machte wenig Eindruck auf sie. Sie rannte auf und davon, geradewegs zurück auf der eigenen Spur, als ob der Teufel hinter ihr her wäre. Wimsey, der sich zynisch sagte, daß er ihre Schnelligkeit wohl doch unterschätzt hatte, hielt sich eisern am Widerrist fest und konzentrierte sich darauf, den linken Zügel kürzer zu ziehen und ihren Kopf zum Meer zu lenken. Nach einiger Zeit fand sie es wohl zu anstrengend, gegen diesen entschlossenen Widerstand anzukämpfen; sie wurde etwas langsamer und änderte ein wenig die Richtung.
    »Du meine Güte, Mädchen«, sagte Wimsey sanft, »was ist denn nur in dich gefahren?«
    Die Stute keuchte und zitterte.
    »Aber so geht das doch nicht«, sagte Wimsey. Er tätschelte ihr beruhigend die verschwitzte Schulter. »Dir tut doch niemand was.«
    Das Pferd blieb stehen, zitterte aber weiter.
    »Na, na«, sagte Wimsey.
    Er drehte ihren Kopf wieder in Richtung des Bügeleisens und sah Mr. Newcombe auf dem Schimmel angaloppiert kommen.
    »Allmächtiger!« rief Mr. Newcombe. »Was ist denn mit dem Gaul los? Ich hab wirklich gedacht, sie schmeißt Sie runter. Sie sind aber auch nicht zum erstenmal geritten, wie?«
    »Irgend etwas muß sie erschreckt haben«, sagte Wimsey. »War sie schon einmal hier?«
    »Nicht daß ich wüßte«, sagte der Bauer.
    »Sie haben nicht mit den Armen gefuchtelt oder so was?«
    »Ich bestimmt nicht! Ich hab auf die Uhr gesehen, und – da haben wir’s! Der Kuckuck soll mich holen, aber jetzt habe ich glatt die Zeit vergessen, die ich ausgerechnet hatte. Ich hab mich nur noch wundern können, wovor sie plötzlich solche Angst hatte.«
    »Ist sie zum Scheuen veranlagt?«
    »Ich habe noch nie erlebt, daß sie so was gemacht hat.«
    »Komisch«, sagte Wimsey. »Ich versuch’s noch einmal. Bleiben Sie hinter uns, dann werden wir ja sehen, ob Sie es waren, der sie erschreckt hat.«
    Er lenkte das Pferd in sanftem Trab zum Felsen zurück. Die Stute lief unwillig und warf den Kopf hin und her. Und dann blieb sie, an derselben Stelle wie beim erstenmal, stocksteif stehen und zitterte am ganzen Körper.
    Sie versuchten es noch einige Male, aber kein Schmeicheln und gutes Zureden half. Sie war nicht in die Nähe des Felsens zu bringen, auch nicht als Wimsey absaß und sie Schritt für Schritt heranzuführen versuchte. Sie rührte sich einfach nicht vom Fleck; ihre zitternden Beine standen wie angewurzelt im Sand, und sie verdrehte angstvoll die weißen Augäpfel. Sie mußten aus reiner Barmherzigkeit die Versuche aufgeben.
    »Mich laust der Affe«, sagte Mr. Newcombe.
    »Mich auch«, meinte Wimsey.
    »Was kann nur über sie gekommen sein –?« überlegte Mr. Newcombe.
    »Ich weiß genau, was über sie gekommen ist«, sagte Wimsey, »aber – na ja, egal. Wir reiten am besten zurück.«
    Sie ritten langsam heimwärts. Wimsey sah sich die Nische in der Steilküste gar nicht erst an. Er brauchte es nicht. Er wußte jetzt genau, was sich zwischen Darley und dem Satans-Bügeleisen abgespielt hatte. Im Reiten fügte er das ganze komplizierte Gebilde seiner Theorien Strich für Strich zusammen und schrieb dann, wie Euklid, darunter:
    UND DAS IST

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