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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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gesehen haben?«
    »Aber es stimmt doch, Sir. Wir haben niemanden gesehen. Das war nämlich so, Sir. Wir sind mit dem Boot rausgefahren und dann bei Stauwasser reingekommen, weil wir ja wußten, daß die andern Boote bei Flut nach Hause kommen würden, nicht? Und Großvater sagt: ›Hab mal ein Auge auf die Küste, Jem‹, sagt er, ›und paß auf, daß sich da keiner von den Gurneys rumtreibt.‹ Ich hab also geschaut, und da war keine Menschenseele zu sehen, nur dieser Kerl da auf dem Bügeleisen. Ich hab mir den angesehen, und weil er aussah, als wenn er schlief, und anscheinend sowieso keiner von uns war, hab ich zu Großvater gesagt, daß da nur so einer aus der Stadt herumliegt.«
    »Sie sagen, er schlief?«
    »Es schien so. Dann hat Großvater ihn sich mal angesehen und gesagt: ›Der tut uns nichts, aber behalte du die Steilküste im Auge.‹ Das hab ich also getan, und keine Menschenseele hat sich da blicken lassen, bevor wir an die Mahlzähne kamen, und wenn das nicht die Wahrheit ist, will ich tot umfallen, Sir.«
    »Nun passen Sie mal auf, Jem«, sagte Wimsey. »Sie haben doch die Aussagen bei der Leichenschau gehört und wissen, daß der arme Kerl gegen zwei Uhr umgebracht worden ist.«
    »Richtig, Sir. Und so wahr ich hier sitze, er muß sich selbst umgebracht haben, denn niemand ist in seine Nähe gekommen – außer der jungen Dame natürlich. Höchstens als wir die Körbe raufgeholt haben. Ich kann nicht behaupten, daß wir da nicht vielleicht etwas übersehen haben könnten. Mit der Arbeit waren wir so ungefähr um zwei Uhr fertig – ich kann das zwar nicht auf die Minute genau sagen, aber die Flut hatte vor ungefähr einer Dreiviertelstunde gewendet, und da hab ich dann noch einmal nach diesem Kerl gesehen und zu Großvater gesagt: ›Du, Großvater‹, sag ich, ›ich hab das Gefühl, da stimmt was nicht, der Kerl da auf dem Felsen sieht mir so komisch aus.‹ Da sind wir mit dem Boot mal etwas näher an die Küste ran, und in dem Moment kommt plötzlich die junge Dame um die Felsen herum und hüpft durch die Gegend, und Großvater sagt: ›Da halten wir uns raus‹, sagt er, ›da halten wir uns raus. Das geht uns überhaupt nichts an.‹ Da haben wir also wieder gewendet. Denn sehen Sie, Sir, wenn wir uns da eingemischt hätten und es wäre herausgekommen, daß wir da in der Gegend waren und das Boot voll mit Tom Gurneys Krebsen hatten, da hätte Tom Gurney was dazu zu sagen gehabt.«
    »Ihr Großvater sagt, Sie hätten Alexis zum erstenmal um Viertel vor zwei gesehen.«
    »Das muß schon früher gewesen sein, Sir. Aber ich will nicht behaupten, daß wir die ganze Zeit hingeschaut haben, Sir.«
    »Wenn nun jemand, sagen wir, zwischen Viertel vor zwei und zwei Uhr vorbeigekommen wäre, hätten Sie den wohl gesehen?«
    »Ich denke ja. Nein, Sir, dieser arme Mann hat sich selbst umgebracht, da besteht überhaupt kein Zweifel. Hat sich in aller Stille, wie er dasaß, die Kehle durchgeschnitten. Daran gibt es überhaupt nicht den kleinsten Zweifel.«
    Wimsey war verwirrt. Wenn das gelogen war, so wurde die Lüge mit einem erstaunlichen Maß an Überzeugungskraft vorgebracht. War es aber die Wahrheit, so würde die Mordtheorie noch schwerer aufrechtzuerhalten sein als zuvor schon. Sämtliche Indizien, vom größten bis zum kleinsten, schienen darauf hinzuweisen, daß Alexis allein auf diesem Felsen gestorben war, und zwar von eigener Hand.
    Und dennoch – warum wollte die braune Stute um keinen Preis in die Nähe des Felsens? War es möglich – Wimsey war kein Freund von Aberglauben, aber er wußte, daß so etwas schon vorgekommen war – war es also möglich, daß Paul Alexis’ ruheloser Geist sich noch beim Satans-Bügeleisen herumtrieb, dem stumpfen Vieh erkennbar, nicht aber dem selbstbewußten Menschen? Er hatte einmal ein anderes Pferd gekannt, das sich geweigert hatte, an der Stätte eines lange zurückliegenden Verbrechens vorbeizugehen.
    Plötzlich fiel ihm noch ein anderer Punkt ein, den er bei der Gelegenheit vielleicht klären konnte.
    »Ist bei Ihnen zu Hause jetzt noch jemand auf, Jem?«
    »Ja, Sir. Mutter ist sicher noch auf und wartet auf mich.«
    »Ich möchte gern mit ihr sprechen.«
    Jem erhob keine Einwände, und Wimsey trat mit ihm ins Haus der Pollocks. Mrs. Pollock, die gerade für Jem eine Suppe anrührte, empfing ihn höflich, schüttelte auf seine Frage aber den Kopf.
    »Nein, Sir, wir haben heute nachmittag kein Pferd am Strand gehört.«
    Dann war das also erledigt.

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