Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
verbrannt?«
»Jetzt, wo Sie’s sagen, finde ich das auch komisch.«
»Sehr sogar. Dieser Brief kam am Dienstagmorgen. Am Mittwoch wurden alle Rechnungen bezahlt und abends alle Papiere verbrannt. Am Donnerstagmorgen begab Alexis sich zum Zug. Ist es zuviel vermutet, daß die Anweisungen zu alldem in diesem Brief standen?«
»Es hört sich plausibel an.«
»Eben. Das würde heißen, daß in dem Brief das Treffen am Satans-Bügeleisen verabredet wurde. Warum ist nun dieser Brief nicht mit allem anderen verbrannt worden?«
Harriet streifte in Gedanken durch die Gefilde der Kriminalliteratur, wo sie sich ja ganz gut auskannte.
»In meinen Büchern«, sagte sie, »lasse ich den Bösewicht am Schluß meist sagen: ›Bringen Sie diesen Brief mit.‹ Aus der Sicht des Schurken dient das dazu, daß er sich selbst von der Vernichtung des Schriftstücks überzeugen kann. Aus meiner Sicht richte ich es natürlich immer so ein, daß der Schurke immer ein Stückchen von dem Brief in der verkrampften Hand des Opfers zurückläßt, damit Robert Templeton es leichter hat.«
»Richtig. Nun unterstellen wir einmal, daß unser Schurke die Duplizität Ihrer Absichten nicht ganz begriffen hat. Nehmen wir an, er hat sich gesagt: ›Harriet Vane und andere berühmte Kriminalschriftsteller lassen den Mörder immer dem Opfer sagen, es soll den Brief mitbringen. Folglich gehört sich das so.‹ Das wäre eine Erklärung für das Vorhandensein dieses Papiers.«
»Dann müßte er aber ein Amateurschurke sein.«
»Warum nicht? Wenn das nicht tatsächlich das Werk eines geschulten bolschewistischen Agenten war, ist er wahrscheinlich ein Amateur. Ich vermute also, daß wir irgendwo in diesem Brief, vielleicht am Ende, die Worte finden werden: ›Bringen Sie diesen Brief rnit‹ – und dann wissen wir, warum er da ist.«
»Aha. Aber warum finden wir ihn dann so schön versteckt in einer Brusttasche und nicht, wie nach Schema F, in der Hand des Opfers?«
»Vielleicht hat das Opfer sich nicht an Schema F gehalten.«
»Dann hätte der Mörder das Opfer durchsuchen und den Brief finden müssen.«
»Das wird er vergessen haben.«
»Wie unfähig!«
»Ich kann nichts dafür. Der Brief ist nun einmal hier. Und zweifellos steckt er voll gefährlicher und wichtiger Informationen. Wenn darin das Treffen vereinbart wurde, ist er gefährlich, weil das beinahe auf einen Beweis dafür hinausläuft, daß Alexis sich nicht selbst umgebracht hat, sondern umgebracht wurde.«
»Aber passen Sie mal auf. Angenommen, Alexis hatte den Brief nur deshalb bei sich, weil darin stand, wie er zum Bügeleisen kommt, und Alexis hatte Angst, das zu vergessen?«
»Das kann nicht sein. Erstens hätte er ihn dann griffbereit in einer Außentasche gehabt – und nicht in der Innentasche versteckt. Und außerdem –«
»Nicht unbedingt. Er könnte ihn griffbereit gehabt haben, bis er am Ziel war, und dann hat er ihn weggesteckt. Schließlich hat er ungefähr eine Stunde allein auf dem Bügeleisen gesessen, nicht?«
»Schon, aber ich wollte ja noch etwas sagen. Wenn er in dem Brief etwas hätte nachsehen wollen, hätte er nicht die Geheimschrift mitgenommen, die zu lesen für ihn immer noch etwas schwierig gewesen wäre, sondern die entschlüsselte Version.«
»Natürlich – aber – sehen Sie denn nicht? – das beantwortet die ganze Frage! Er hat den entschlüsselten Text bei sich, und der Schurke fragt: ›Haben Sie den Brief mitgebracht?‹ Und Alexis reicht ihm gedankenlos die entschlüsselte Kopie, die der Schurke nimmt und vernichtet, ohne daran zu denken, daß das Original noch bei dem Toten sein könnte.«
»Sie haben recht«, sagte Wimsey, »Sie haben absolut recht. Genauso muß es zugegangen sein. Das wäre also klar, aber viel weiter sind wir damit noch nicht. Immerhin haben wir eine gewisse Vorstellung, was in dem Brief gestanden haben muß, und das ist schon eine große Hilfe beim Entschlüsseln. Außerdem haben wir den Verdacht, daß der Schurke ein Amateur war, weil das aus dem Brief selbst hervorgeht.«
»Wieso?«
»Sehen Sie, hier oben sind zwei Zeilen mit je acht Buchstaben. Nur ein Amateur kann uns acht Buchstaben für sich allein präsentieren, geschweige gleich zweimal acht. Ein Profi würde alles hintereinander schreiben. Nun können diese beiden Achtergruppen eigentlich nur zweierlei sein. Erstens könnten sie der Schlüssel zum Kode sein – ein Schlüssel zum Buchstabentausch, aber das sind sie nicht, denn das habe ich schon
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