Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
Wenn Wimsey ungehört an den Hütten vorbeireiten konnte, konnte es jeder andere auch.
»Der Wind kommt heute vom Land«, ergänzte Mrs. Pollock.
»Und Sie sind immer noch ganz sicher, daß Sie letzten Donnerstag vor einer Woche auch nichts dergleichen gehört haben?«
»Je nun.« Mrs. Pollock nahm den Topf vom Herd. »Jedenfalls nicht nachmittags um die Zeit, wonach die Polizei gefragt hat. Aber Susie ist eingefallen, daß sie um die Mittagszeit herum so ein Getrappel gehört hat. Wird so gegen zwölf gewesen sein. Aber weil sie was zu tun hatte, ist sie nicht hingelaufen, um zu sehen, was es war.«
»Zwölf Uhr?«
»So ungefähr, Sir. Es ist ihr ganz plötzlich wieder eingefallen, wie wir uns darüber unterhalten haben, was der junge Ormond von uns wissen wollte.«
Wimsey verließ die Hütte und wußte überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Wenn jemand um zwölf Uhr an der Küste entlanggeritten war, erklärte dies das Hufeisen, aber nicht den Mord. War es vielleicht sein entscheidender Fehler gewesen, diesem Hufeisen soviel Bedeutung beizumessen? Könnte nicht irgendein mutwilliger junger Bursche, der das Pferd frei herumlaufen sah, aus reinem Übermut ein Stückchen damit am Strand entlanggeritten sein? Hätte das Pferd nicht sogar allein da herumgaloppieren können?
Aber das brachte ihn wieder auf das merkwürdige Verhalten des Tiers heute nachmittag und auf das Problem mit dem Ring. War der Ring im Felsen für irgendeinen anderen Zweck gedacht? Oder war vielleicht der Mörder schon um zwölf Uhr zum Felsen geritten und hatte sich bis zwei Uhr mit Alexis unterhalten? Aber Jem hatte gesagt, auf dem Felsen habe sich nur die eine Gestalt befunden. Hatte der Mörder sich in der Felsnische versteckt gehalten und auf den rechten Augenblick gewartet, um zuzuschlagen? Aber warum? Der einzige Grund, dorthin zu reiten, konnte doch nur gewesen sein, ein Alibi zu konstruieren, und ein Alibi ist für die Katz, wenn man erst zwei Stunden vertut, bevor man es sich zunutze macht. Und wie war das Pferd nach Hause gekommen? Es war zwischen ein und zwei Uhr jedenfalls nicht am Strand gewesen, wenn man – wiederum – Jem trauen konnte. Wimsey spielte für ganz kurze Zeit mit dem Gedanken, daß vielleicht zwei Männer auf einem Pferd geritten waren – der eine, um den Mord zu begehen, der andere, um das Tier zurückzureiten, aber das erschien ihm denn doch etwas zu weit hergeholt.
Dann kam ihm plötzlich ein völlig neuer Gedanke. In allen Diskussionen über das Verbrechen war man bisher selbstredend davon ausgegangen, daß Alexis zu Fuß entlang der Küstenstraße zum Bügeleisen gegangen war; aber war das bewiesen? Das hatte er sich nie gefragt. Warum hätte nicht Alexis der Reiter sein können?
In diesem Falle war vielleicht die Zeit, in der das Pferd vorbeigelaufen war, erklärt, aber andere Fragen sprossen sofort empor wie Unkraut in einem Rosengarten. An welcher Stelle hatte er das Pferd genommen? Man hatte ihn vom Darley Halt aus zu Fuß in Richtung Lesston Hoe weggehen sehen. War er dann später umgekehrt, hatte das Pferd von der Wiese geholt und war geritten? Wenn nicht, wer hatte es ihm gebracht und wohin? Und wieder die Frage: Wie war es zurückgekommen?
Er beschloß, Inspektor Umpelty ausfindig zu machen und ihn mit diesem Problem zu konfrontieren.
Der Inspektor wollte gerade zu Bett gehen, und sein Willkommensgruß klang nicht eben herzlich, aber als er Wimseys neueste Informationen hörte, lebte er auf.
»Diese Pollocks und Moggeridges sind die größten Lügner unter Gottes Himmel«, bemerkte er, »und wenn es ein Mord war, ist das der beste Beweis, daß sie alle drinhängen. Aber zu der Frage, wie Alexis zum Felsen gekommen ist, da können Sie beruhigt sein. Wir haben sechs Zeugen gefunden, die ihn zwischen Viertel nach zehn und Viertel vor zwölf an verschiedenen Stellen die Straße entlanggehen gesehen haben, und sofern da nicht noch jemand anders mit einem schwarzen Bart herumgelaufen ist, können Sie es als erwiesen ansehen, daß er über die Küstenstraße hingekommen ist und nicht anders.«
»Kannte ihn keiner der Zeugen persönlich?«
»Das nicht«, gab der Inspektor zu, »aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß da noch ein anderer junger Mann mit blauem Anzug und Bart um diese Zeit da herumgelaufen ist, es sei denn, jemand hat sich bewußt als er verkleidet, und wozu sollte das wohl gut sein? Ich meine, der einzige Grund, warum sich jemand als Paul Alexis hätte verkleiden sollen,
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