Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
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Ha! Nun! Was jetzt?
Du bist der Mundschenk allerhöchster Freuden –
Doch war es ein Gerücht, war Lüge.
THE SECOND BROTHER
MONTAG, 6. JULI
»Ich sehe das so«, sagte Polizeidirektor Glaisher. »Wenn dieser Bright also Morecambe ist und Mrs. Morecambe mit Weldon unter einer Decke steckt, dann stecken Weldon und Bright – wenn wir ihn noch so nennen wollen – ebenso unter einer Dekke.«
»Zweifellos«, sagte Wimsey. »Aber wenn Sie jetzt glauben, daß mit dieser Identifizierung das Leben für Sie eitel Sonnenschein ist, sind Sie gewaltig im Irrtum. Vorerst wirft sie uns nur alles über den Haufen, was wir uns bis jetzt mit soviel Geistesaufwand zusammenkombiniert haben.«
»Ja, Mylord; die Sache hat gewiß noch einen dikken Haken. Trotzdem, auch kleine Schritte führen weiter, und diesmal haben wir schon einen dicken Fisch an der Angel. Ich schlage vor, wir machen eine Bestandsaufnahme. Erstens, wenn Bright Morecambe ist, ist er kein Friseur; folglich hatte er keinen plausiblen Grund, dieses Rasiermesser zu kaufen; darum ist seine Geschichte von dem Rasiermesser lauter Käse, wie wir sofort vermutet haben; und darum gibt es nach menschlichem Ermessen kaum noch einen Zweifel, daß Paul Alexis nicht Selbstmord begangen hat, sondern ermordet wurde.«
»Genau«, sagte Wimsey, »und da wir schon einen Großteil unserer Zeit und Arbeit an diesem Fall unter das Motto gestellt haben, daß es Mord ist, freut es einen, zu wissen, daß dieses Motto vermutlich stimmt.«
»So ist es. Nun, wenn Weldon und Morecambe zusammen hinter der Geschichte stecken, dürfte das Motiv für den Mord genau das sein, was wir gedacht hatten – an Mrs. Weldons Geld heranzukommen – oder nicht?«
»Sehr wahrscheinlich«, pflichtete Wimsey ihm bei.
»Und was soll dann diese ganze Bolschewikengeschichte damit zu tun haben?« wollte Inspektor Umpelty wissen.
»Sehr viel«, sagte Wimsey. »Passen Sie auf, ich biete Ihnen noch zwei Identifizierungen an. Erstens behaupte ich, daß Morecambe der bärtige Freund war, der Ende Februar bei Weldon auf dem Vierwegehof zu Besuch war. Und zweitens behaupte ich, daß Morecambe der bärtige Herr war, der an Mr. Sullivan in der Wardour Street herangetreten ist und um ein Foto von einem Mädchen russischen Typs gebeten hat. Es ist sehr interessant, daß Mr. Horrocks’ Theaterblick ihn sofort als Richard III. sah.«
Inspektor Umpelty schaute verwunderte, aber der Polizeidirektor klatschte mit der Hand auf den Tisch.
»Der Buckel!« rief er.
»Ja – aber man läßt Richard heutzutage selten als richtigen Buckligen auftreten. Nur eine leichte Andeutung von einem Höcker bieten sie einem an – gerade diese kaum wahrnehmbare Schiefheit der Schulter, die Morecambe an sich hat.«
»Natürlich, das ist alles völlig klar, nachdem wir jetzt über den Bart Bescheid wissen«, meinte Glaisher. »Aber wozu das Foto?«
»Versuchen wir doch die Geschichte einmal in der richtigen Reihenfolge zusammenzustellen, soweit wir sie kennen«, schlug Wimsey vor. »Da haben wir als erstes Weldon, der über beide Ohren in Schulden steckt und aufgrund seiner Erbschaftserwartungen Kredite aufnimmt. Schön. Nun kommt Anfang dieses Jahres Mrs. Weldon nach Wilvercombe und beginnt sich sehr für Paul Alexis zu interessieren. Im Februar erklärt sie definitiv, daß sie Alexis zu heiraten gedenkt, und möglicherweise ist sie so dumm, dabei zu erwähnen, daß sie Alexis in diesem Falle ihr ganzes Geld vermachen wird. Fast unmittelbar darauf besucht Morecambe Weldon auf seinem Hof. Und nach ein, zwei Wochen beginnen die verschlüsselten Briefe mit den ausländischen Briefmarken bei Alexis einzutreffen.«
»Soweit ist alles klar.«
»Nun hat Alexis schon immer und überall angedeutet, daß es ein Geheimnis um seine Geburt gebe. Er bildet sich ein, von russischem Adel abzustammen. Ich nehme an, daß der erste Brief –«
»Augenblick, Mylord. Wer hat Ihrer Meinung nach diese Briefe geschrieben?«
»Ich glaube, daß Morecambe sie geschrieben hat und von einem Freund in Warschau hat aufgeben lassen. In meinen Augen ist Morecambe der Kopf dieses Komplotts. Er schreibt den ersten Brief, zweifellos in Klartext, und macht Andeutungen über kaisertreue Aktivitäten in Rußland und große Aussichten für Paul Alexis, wenn er seine Herkunft nachweisen kann – aber natürlich muß die Sache vollkommen geheim bleiben.«
»Wozu das?«
»Damit alles schön romantisch ist. Alexis, der arme Tropf, schluckt das alles mit Stumpf und Stiel. Er
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