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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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unerfindlichen Gründen um etwas betrogen.
    »Nach London?« wiederholte sie.
    »Es wird Ihnen nicht entgangen sein«, sagte Wimsey, indem er mit haarsträubendem Geschick zwischen einem Strandkorb und einem Metzgereiwagen hindurchkurvte, »daß die Sache mit dem Rasiermesser der Nachforschungen bedarf.«
    »Natürlich – ein Besuch in der ruritanischen Botschaft ist angezeigt.«
    »Hm – tja; ich weiß nicht, ob ich weiter kommen werde als bis in die Jermyn Street.«
    »Auf der Suche nach dem Mann in den besten Jahren mit den liederlichen Gewohnheiten?«
    »Ja, darauf läuft es hinaus.«
    »Den gibt es also wirklich?«
    »Nun, auf sein genaues Alter möchte ich mich nicht festlegen.«
    »Und auf seine Gewohnheiten?«
    »Das könnten auch die Gewohnheiten seines Dieners sein.«
    »Und der starke Bart und das hitzige Temperament?«
    »Ich glaube, bei dem Bart kann man sich einigermaßen sicher sein.«
    »Ich geb’s auf«, meinte Harriet verzagt. »Erklären Sie mir’s bitte.«
    Wimsey hielt vor dem Resplendent. Er sah auf die Uhr.
    »Zehn Minuten kann ich Ihnen geben«, bemerkte er in hochnäsigem Ton. »Setzen wir uns in den Salon und bestellen uns etwas zur Stärkung. Es ist noch ein bißchen früh, zugegeben, aber mit einem Bier im Magen fahre ich viel besser. Gut so. Und nun zu dem Rasiermesser. Sie werden bemerkt haben, daß es von bester und teuerster Qualität ist und von einem erstklassigen Hersteller stammt, und außer dem Namen des Herstellers steht auf der andern Seite noch das mystische Wort ›Endicott‹.«
    »Und? Wer oder was ist Endicott?«
    »Endicott ist, oder war, der exklusivste Friseur im Londoner Westend. So furchtbar exklusiv, daß er sich nicht einmal in dieser überheblich modernen Art ›Friseur‹ nennen mochte, sondern lieber an der altmodischen Bezeichnung ›Barbier‹ festhielt. Er wird sich oder würde sich kaum herablassen, jemanden zu rasieren, der nicht mindestens seit dreihundert Jahren im Debrett steht. Andere, mögen sie noch so reich und betitelt sein, haben stets das Pech, daß seine Stühle alle besetzt und seine Becken alle ausgelastet sind. In seinem Salon herrscht die verdünnte Atmosphäre der Aristokratenclubs aus mittviktorianischer Zeit. Man erzählt sich, daß eines Tages ein Peer, der im Krieg sein Geld mit Spekulationen in Schnürsenkeln oder Knöpfen gemacht hatte, von einem neuen Gesellen ohne Westenderfahrung, den man während des kriegsbedingten Barbiermangels notgedrungen eingestellt hatte, versehentlich in dieses Allerheiligste eingelassen wurde. Nach zehn Minuten in dieser furchtbaren Atmosphäre erstarrte sein Haar, seine Glieder versteinerten, und man mußte ihn in den Kristallpalast bringen und zwischen die antediluvianischen Ungeheuer stellen.«
    »Und?«
    »Und! Da wäre zunächst einmal die Anomalie, daß einer, der sich sein Rasiermesser bei Endicott kauft, in solch bejammernswerten Schuhen und Konfektionsartikeln herumläuft, wie sie bei dem Toten gefunden wurden. Wohlgemerkt«, fuhr Wimsey fort, »das ist nicht unbedingt eine Frage des Geldes. Die Schuhe sind Handarbeit – was aber nur beweist, daß ein Tänzer auf seine Füße achtgeben muß. Aber wäre es schlechthin denkbar, daß einer, der von Endicott rasiert wird, sich Schuhe von dieser Form und Farbe anfertigen läßt – eigens anfertigen läßt? Dagegen sträubt sich alle Phantasie.«
    »Ich muß leider zugeben«, sagte Harriet »daß ich die komplizierten Gesetze der Männermode nie ganz durchschaut habe. Darum lasse ich Robert Templeton auch immer so schlampig herumlaufen.«
    »Templetons Kleidung hat mir schon immer Schmerzen bereitet«, gestand Wimsey. »Der einzige Schönheitsfehler an Ihren sonst so faszinierenden Erzählungen. Aber lassen wir dieses betrübliche Thema beiseite und wenden uns wieder dem Rasiermesser zu. Dieses Rasiermesser hat schon einiges in seinem Leben geleistet. Es ist etliche Male nachgeschliffen worden, was man an der Schneide erkennt. Nun braucht aber ein wirklich erstklassiges Rasiermesser selten einmal nachgeschliffen zu werden, sofern es schonend gebraucht und immer ordentlich abgestrichen wird. Folglich war entweder der Mann, der es benutzt hat, sehr ungeschickt und liederlich im Umgang mit dem Streichriemen, oder sein Bart war ungewöhnlich stark – wahrscheinlich beides. Ich stelle ihn mir als jemanden vor, der eine schwere Hand für Werkzeuge hat – Sie kennen diese Art Leute. Ihre Füllfederhalter klecksen immer, und dauernd sind ihre Uhren

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