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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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überdreht. Sie unterlassen es so lange, ihr Rasiermesser abzustreichen, bis der Streichriemen hart und trocken wird, und dann gehen sie mit doppelter Energie zu Werke und kerben die Schneide ein. Dann werden sie wütend, schimpfen auf das Rasiermesser und schicken es zum Schärfen. Die neue Schneide hält aber auch nur ein paar Wochen, und wieder geht das Rasiermesser zurück, diesmal mit einem unhöflichen Begleitschreiben.«
    »Aha. Nun, das wußte ich alles nicht. Aber wie kamen Sie darauf, daß es ein Mann in den besten Jahren sein muß?«
    »Das sind nur Vermutungen. Ich glaube eben, daß ein junger Mann, der solche Schwierigkeiten mit seinem Rasiermesser hat, eher auf einen Sicherheitsrasierer übergehen würde, bei dem er alle paar Tage einfach die Klinge wechselt. Aber ein Mann in reiferen Jahren legt seine Gewohnheiten so schnell nicht ab. Jedenfalls bin ich sicher, daß dieses Rasiermesser mehr als drei Jahre lang stark benutzt worden ist. Und wenn der Tote jetzt erst zweiundzwanzig Jahre alt ist und einen Vollbart trägt, verstehe ich nicht ganz, wie er die Klinge derart abgenutzt haben soll, daß sie schon mehrmals zum Schleifen mußte. Wir müssen unbedingt den Hoteldirektor fragen, ob er den Bart schon hatte, als er vor einem Jahr hier ankam. Das würde den Zeitraum nochmals verkleinern. Aber zuerst muß ich den guten alten Endicott aufsuchen und ihn fragen, ob es sein kann, daß seine Rasiermesser später als 1925 verkauft worden sind.«
    »Warum 1925?«
    »Weil Endicott in diesem Jahr seinen Salon verkauft und sich mit Krampfadern und einem kleinen Vermögen aufs Altenteil zurückgezogen hat.«
    »Und wer hat den Salon weitergeführt?«
    »Niemand. In dem Haus befindet sich jetzt ein Feinkostgeschäft, in dem man unter anderem die erlesensten Schinken kaufen kann. Es waren keine Söhne da, die den Salon hätten weiterführen können – der einzige junge Endicott ist in Flandern gefallen. Und der alte Endicott wollte seinen Namen niemandem verkaufen. Überhaupt wäre ein Salon Endicott ohne einen Endicott kein Salon Endicott mehr gewesen, basta.«
    »Aber er hat vielleicht das Inventar verkauft.«
    »Das will ich gerade in Erfahrung bringen. Und jetzt muß ich los. Ich versuche bis heute abend wieder zurück zu sein; grämen Sie sich nicht.«
    »Ich gräme mich nicht«, erwiderte Harriet entrüstet. »Ich fühle mich pudelwohl.«
    »Um so besser. Ach ja – wenn ich schon wieder beim Thema bin, darf ich das Aufgebot bestellen?«
    »Bemühen Sie sich nicht, danke.«
    »Schon gut; ich wollte ja auch nur mal nachgefragt haben. Übrigens, könnten Sie sich in meiner Abwesenheit vielleicht ein bißchen um die anderen Eintänzer kümmern? Womöglich schnappen Sie etwas über Paul Alexis auf.«
    »Gute Idee. Aber dazu muß ich mir erst ein anständiges Kleid kaufen, falls es in Wilvercombe so etwas gibt.«
    »Gut, nehmen Sie Weinrot. Ich wollte Sie schon immer mal gern in Weinrot sehen. Das paßt so gut zu Menschen mit honigfarbener Haut. (Was ist ›Haut‹ doch für ein häßliches Wort.) ›Blüten von dem honigsüßen, honigfarb’nen Menuphar‹ – Sie sehen, ich habe für alles ein Zitat auf Lager – das erspart das eigene Denken.«
    »Zum Kuckuck mit ihm!« sagte Harriet, die sich unvermittelt in dem blauen Plüschsalon alleingelassen sah. Plötzlich sprang sie auf, eilte die Treppe hinunter und sprang aufs Trittbrett des Daimler.
    »Portwein oder Sherry?« fragte sie.
    »Wie«, fragte Wimsey entgeistert.
    »Das Kleid – Portwein oder Sherry?«
    »Bordeaux«, sagte Wimsey. »Château Margaux 1893 oder um diese Zeit. Auf ein Jahr mehr oder weniger soll es mir nicht ankommen.«
    Er lüftete den Hut und ließ die Kupplung los. Als Harriet kehrt machte, sprach eine entfernt bekannte Stimme sie an:
»Miss – äh – Miss Vane? Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen?«
    Es war die »Raubwachtel«, die sie am Abend zuvor im Tanzsalon des Resplendent beobachtet hatte.

5
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Das Zeugnis der Verlobten
    Er sagte, liebe Mutter, ich sollt’ seine Gräfin sein; Heut wurd’ er kommen und mich holen, doch bei Tage Legt’ meine Hoffnung ich ins Grab.
THE BRIDE’S TRAGEDY

    FREITAG, 19. JUNI
    Harriet hatte schon fast vergessen, daß es diese Frau überhaupt gab, aber nun fiel ihr die Episode wieder ein, und sie verstand nicht mehr, wie sie so dumm hatte sein können. Dieses nervöse Warten; der leere, entrückte Blick, der allmählich in grämliche Ungeduld überging; die Frage nach Mr. Alexis; das

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