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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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hastige, gekränkte Verlassen des Salons. Als sie der Frau nun ins Gesicht sah, war es so alt, so verhärmt von Angst und Leid, daß ein Gemisch von Peinlichkeit und Taktgefühl sie den Blick abwenden und ziemlich barsch antworten ließ:
    »Ja, natürlich. Kommen Sie mit in mein Zimmer.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte die Frau. Nach kurzem Schweigen fügte sie dann, während sie zum Aufzug gingen, hinzu:
    »Ich heiße Weldon – Mrs. Weldon. Ich wohne hier schon länger. Mr. Greely – das ist der Direktor – kennt mich sehr gut.«
    »Schon gut«, sagte Harriet. Sie verstand, daß Mrs. Weldon ihr nur klarzumachen versuchte, daß sie keine Trickbetrügerin oder Hoteldiebin oder Mädchenhändlerin war, und so versuchte sie ihrerseits Mrs. Weldon zu verstehen zu geben, daß sie ihr nichts dergleichen unterstellte. Sie war verlegen, und das ließ sie etwas unwirsch sprechen. Sie witterte eine Szene, und sie gehörte nicht zu den Frauen, die an Szenen Spaß haben. Sie führte die Besucherin stumm und verdrossen in ihr Zimmer und bat sie, Platz zu nehmen.
    »Es handelt sich«, begann Mrs. Weldon, indem sie sich in einen Sessel sinken ließ und ihre Hände um die teure Handtasche schlang, »es handelt sich um – Mr. Alexis. Das Zimmermädchen hat mir so eine schreckliche Geschichte erzählt – ich bin zum Direktor gegangen – er wollte mir gar nichts sagen – dann habe ich Sie mit der Polizei zusammen gesehen – und diese Zeitungsleute haben alle geredet – und auf Sie gezeigt – bitte, Miss Vane, sagen Sie mir, was geschehen ist.«
    Harriet räusperte sich und kramte mechanisch in ihrer Handtasche nach Zigaretten.
    »Es tut mir sehr leid«, begann sie. »Ich glaube, es ist etwas recht Unschönes passiert. Sehen Sie – gestern nachmittag war ich zufällig unten am Strand, und da lag dort ein Mann – tot. Und nach allem, was ich höre, muß ich leider annehmen, daß es Mr. Alexis war.«
    Es hatte keinen Sinn, um den heißen Brei zu schleichen. Dieses verlassene Geschöpf mit den gefärbten Haaren und dem eingefallenen, bemalten Gesicht mußte die Wahrheit erfahren. Sie zündete ein Streichholz an und blickte in die Flamme.
    »Das habe ich auch gehört. Wissen Sie, ob es ein – Herzschlag war?«
    »Bedaure, nein. Es scheint, daß er –« (wie drückte man es am schonendsten aus?) »- daß er es selbst getan hat.« (So vermied sie wenigstens das Wort »Selbstmord«.)
»O nein, das kann nicht sein! Das kann nicht sein! Wirklich, Miss Vane, das ist ein Irrtum. Es muß ein Unfall gewesen sein.«
    Harriet schüttelte den Kopf.
    »Aber Sie wissen nicht – Sie können ja nicht wissen – wie unmöglich das ist. Die Menschen sollten so etwas Grausames nicht sagen. Er war so restlos glücklich – er könnte so etwas gar nicht getan haben! Schließlich hat er –« Mrs. Weldon unterbrach sich und erforschte Harriets Gesicht mit ihrem verhungerten Blick. »Ich habe sie etwas von einem Rasiermesser sagen hören, Miss Vane! Wie ist er gestorben?«
    Dafür gab es keine schonende Bezeichnung – nicht einmal einen langen, wissenschaftlichen lateinischen Namen.
    »Seine Kehle war durchgeschnitten, Mrs. Weldon.«
    (Brutaler ging es kaum noch.)
»Oh!« Mrs. Weldon schrumpfte zu einem bloßen Gebilde aus Augen und Knochen zusammen. »Ja – das haben sie – gesagt … Ich konnte nicht richtig hören – fragen wollte ich nicht – und sie schienen sich alle so darüber zu freuen.«
    »Ich weiß«, sagte Harriet. »Verstehen Sie – diese Zeitungsleute – die leben davon. Sie meinen es nicht böse. Das ist ihr täglich Brot. Sie können nichts dafür. Und sie konnten auch nicht ahnen, daß es Ihnen irgend etwas bedeutet.«
    »Nein, aber – es ist so. Aber Sie – Sie wollen es nicht noch schlimmer machen, als es schon ist. Ihnen kann ich vertrauen.«
    »Sie können mir vertrauen«, sagte Harriet langsam, »aber wirklich und ehrlich, es kann kein Unfall gewesen sein. Ich will ihnen nicht die Einzelheiten schildern, aber glauben Sie mir, ein Unfall ist völlig ausgeschlossen.«
    »Dann kann es nicht Mr. Alexis sein. Wo ist er? Kann ich ihn sehen?«
    Harriet erklärte ihr, daß die Leiche noch nicht geborgen worden sei.
    »Es muß jemand anders sein! Woher wollen die wissen, daß es Paul ist?«
    Harriet erwähnte widerstrebend das Foto, denn sie wußte, welche Bitte als nächstes kommen würde.
    »Zeigen Sie mir das Foto!«
    »Es ist kein schöner Anblick.«
    »Zeigen Sie mir das Foto. Ich kann mich nicht

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