Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
besuchen. Kennen Sie seine Adresse?«
Der Geschäftsführer gab ihm die gewünschte Auskunft, dann wandte er sich wieder seiner nächstliegenden Aufgabe zu, jagte den Spieß tief in den Schinken hinein, dicht am Knochen vorbei, quirlte ihn gekonnt ein paarmal hin und her, zog ihn heraus und präsentierte ihn höflich am Griff. Wimsey schnupperte hingebungsvoll daran, machte mit angemessenem Wohlbehagen »Ah!« und stimmte einen weihevollen Lobgesang über den Schinken an.
»Vielen Dank, Mylord. Er wird Ihnen bestimmt ausgezeichnet munden. Darf ich ihn schicken?«
»Ich nehme ihn gleich selbst mit.«
Der Geschäftsführer winkte einen Verkäufer herbei, der den Artikel mit beeindruckender Kunst in mehrere Schichten fettdichtes Papier, weißes Papier und braunes Papier wickelte, mit Schnur der besten Qualität zusammenschnürte, aus dem freien Ende einen raffinierten Tragegriff knüpfte und dieses Paket dann auf den Armen wiegte wie eine Kinderschwester das frisch gewickelte Prinzchen.
»Mein Wagen steht draußen«, sagte Wimsey. Der Verkäufer strahlte vor Dankbarkeit. Eine feierliche kleine Prozession trat auf die Jermyn Street hinaus, bestehend aus: dem Verkäufer, der den Schinken trug; Lord Peter, der seine Autohandschuhe überstreifte; dem Geschäftsführer, der die rituellen Formeln dazu murmelte; dem zweiten Verkäufer, der die Tür aufhielt und sich dann hinten anschloß, um sich auf der Schwelle zu verneigen. Schließlich glitt der Wagen davon, begleitet vom ehrfürchtigen Getuschel einer Passantenschar, die sich versammelt hatte, um seine Stromlinienform zu bewundern und über die Zahl der Zylinder zu diskutieren.
Mr. Endicotts Haus in Ealing war leicht gefunden. Der Besitzer war zu Hause, und die Überreichung des Schinkens und im Gegenzug das Angebot eines Gläschens alten Sherrys gingen mit der ungezwungenen Würde vonstatten wie der Austausch von Geschenken zwischen zwei einander ebenbürtigen, aber freundlich gesinnten Potentaten. Lord Peter besichtigte die Nippfigurensammlung, unterhielt sich ungezwungen über Golfhandicaps und leitete dann ohne unziemliche Hast zum eigentlichen Zweck seines Besuches über.
»Ich bin neulich auf eines von Ihren Rasiermessern gestoßen, Endicott, und zwar unter recht merkwürdigen Umständen. Ob Sie mir wohl etwas darüber erzählen können?«
Mr. Endicott schenkte ihm mit einem gütigen Lächeln im rosigen Gesicht noch ein Gläschen Sherry ein und meinte, er wolle gern behilflich sein, wenn er könne.
Wimsey beschrieb Machart und Zustand des Rasiermessers und fragte, ob es möglich sei, den Käufer festzustellen.
»Ah!« machte Mr. Endicott. »Mit Elfenbeingriff, sagen Sie? Ja, da kann man von Glück sagen, daß es eines von denen ist, denn davon hatten wir nur die drei Dutzend, weil die meisten Kunden schwarze Griffe bevorzugen. Doch, darüber kann ich Ihnen schon ein wenig erzählen. Dieses Rasiermesser ist während des Krieges hereingekommen – 1916, glaube ich. Es war nicht leicht, um diese Zeit eine gute Klinge aufzutreiben, aber diese waren sehr gut. Ihr einziger Nachteil war der weiße Griff, und ich weiß noch, daß wir froh waren, als wir ein Dutzend davon an einen alten Kunden in Bombay schicken konnten. Hauptmann Francis Egerton war das. Er hatte uns gebeten, ein paar für ihn und seine Freunde zu schicken. Das muß etwa 1920 gewesen sein.«
»Bombay? Ein bißchen weit vom Schuß. Aber man kann nie wissen. Und die übrigen?«
Mr. Endicott, der ein Gedächtnis zu haben schien wie eine Enzyklopädie, schickte seine Gedanken in die Vergangenheit und sagte:
»Tja, dann war da noch Korvettenkapitän Mellon; er hatte zwei. Aber er kann’s nicht sein, denn sein Schiff wurde mit Mann und Maus versenkt, und sein Rasierzeug ist mit ihm untergegangen. Das muß 1917 gewesen sein. Ein tapferer Mann, der Kapitän, und aus sehr guter Familie. Aus dem Dorset-Zweig der Mellons. Dann der Herzog von Wetherby. Der hatte eins, aber er hat mir erst neulich erzählt, daß er es immer noch hat; er kann es also auch nicht sein. Und Mr. Pritchard. Der hatte mit dem seinen ein denkwürdiges Erlebnis; sein Diener drehte durch und attackierte ihn mit seinem eigenen Rasiermesser, aber zum Glück konnte Mr. Pritchard ihn überwältigen. Der Mann wurde wegen Mordversuchs angeklagt, aber für verrückt erklärt, und das Rasiermesser wurde im Prozeß als Beweisstück vorgeführt. Ich weiß noch, daß Mr. Pritchard hinterher kam und sich ein neues kaufte, ein schwarzes, weil das
Weitere Kostenlose Bücher