Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
oben noch nicht dünner, will ich hoffen!«
»Nicht daß ich wüßte. Werfen Sie mal einen Blick darauf.«
Mr. Endicott teilte das strohfarbene Haardach und nahm die Wurzeln in Augenschein.
»Keine Spur«, verkündete er zuversichtlich. »Eine gesündere Kopfhaut habe ich noch nie gesehen. Dennoch, Mylord, wenn Sie je einen Haarausfall bemerken sollten, lassen Sie es mich wissen. Ich wäre glücklich, Sie beraten zu dürfen. Ich habe immer noch das Rezept für Endicotts Spezialtonikum, und auch wenn ich es selbst sage, etwas Besseres habe ich noch nicht gefunden.«
Wimsey lachte und versprach, Mr. Endicott bei den ersten Symptomen drohenden Unheils zu Rate zu ziehen. Der alte Figaro geleitete ihn zur Tür, drückte ihm herzlich die Hand und bat ihn, doch wieder einmal reinzuschauen. Mrs. Endicott werde es sehr bedauern, seinen Besuch verpaßt zu haben.
Als Wimsey wieder hinterm Steuer saß, wog er die drei Möglichkeiten ab, die er jetzt hatte. Er konnte nach Eastbourne fahren; er konnte nach Stamford fahren; er konnte nach Wilvercombe zurückkehren. Es wäre sicher gerechtfertigt, sofort an den Ort des Verbrechens zurückzukehren – falls es ein Verbrechen war. Die Tatsache, daß sich dort auch Harriet aufhielt, war eine rein zufällige Nebenerscheinung. Andererseits war es seine offenkundige Pflicht, die Sache mit dem Rasiermesser so rasch wie möglich aufzuklären. Nachdenklich fuhr er zu seiner Wohnung am Piccadilly, wo sein Diener Bunter gerade damit beschäftigt war, Fotos in ein großes Album einzuordnen.
Er unterbreitete Bunter sein Problem und bat um seinen Rat. Bunter erwog sorgfältig Für und Wider und äußerte nach kurzer Bedenkzeit respektvoll seine Meinung.
»An Eurer Lordschaft Stelle wäre ich wohl eher geneigt, nach Stamford zu fahren, Mylord. Und zwar aus mehreren Gründen.«
»So, meinen Sie?«
»Ja, Mylord.«
»Nun, vielleicht haben sie recht, Bunter.«
»Ja, Mylord, danke sehr. Wünschen Eure Lordschaft meine Begleitung?«
»Nein«, sagte Wimsey. »Aber Sie könnten nach Eastbourne fahren.«
»Sehr wohl, Mylord.«
»Morgen früh. Ich bleibe über Nacht in der Stadt. Sie können ein Telegramm für mich abschikken – halt, nein, ich glaube, ich schicke es lieber selbst.«
Telegramm von Lord Peter Wimsey an Miss Harriet Vane:
FOLGE RASIERMESSERSPUR NACH STAMFORD WILL KEINESFALLS KRIMIHELD ÄHNELN DER PFLICHTVERGESSEN UM HELDIN STREICHT ABER WOLLEN SIE MICH HEIRATEN
– PETER.
Telegramm von Miss Harriet Vane an Lord Peter Wimsey:
WEIDMANNSHEIL NATÜRLICH NICHT HIER TUT SICH WAS – VANE.
7
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Das Zeugnis der Gigolos
Ein unnützes Leben,
Ein Leben zum Lachen.
DEATH’S JEST-BOOK
FREITAG, 19. JUNI – ABEND
Miss Harriet Vane schwebte in einem burgunderroten Kleid in den Armen Mr. Antoines, des blonden Gigolos, durch den Tanzsalon des Hotels Resplendent.
»Ich fürchte, ich bin keine besonders gute Tänzerin«, meinte sie abbittend.
Mr. Antoine, der zu ihrer gelinden Überraschung weder Jude noch Exote aus Südamerika noch ein Gemisch europäischer Rassen, sondern Franzose war, nahm sie etwas fester in den geübten Arm und antwortete: »Sie tanzen sehr korrekt, Mademoiselle. Es fehlt höchstens noch ein wenig am entrain. Vielleicht warten Sie nur auf den vollkommenen Partner. Wenn das Herz mit den Füßen tanzt, wird es à merveille. « Er sah ihr mit einem wohlberechneten Ausdruck der Ermutigung in die Augen.
»Sind das die Antworten, die Sie all diesen alten Damen geben müssen?« fragte Harriet lächelnd.
Antoine öffnete die Augen ein wenig, dann meinte er, auf ihren leisen Spott eingehend:
»Leider ja. Das ist unser Beruf, Sie verstehen.«
»Das muß ja sehr ermüdend sein.«
Antoine schaffte es, mit den wohlgeformten Schultern zu zucken, ohne die Grazie seiner Bewegung im mindesten zu beeinträchtigen.
» Que voulez-vous? Jeder Beruf hat seine mühseligen Seiten, für die man durch die angenehmeren Momente wieder entschädigt wird. Man kann zu Mademoiselle aufrichtig sagen, was in einem anderen Falle nur Höflichkeit wäre.«
»Bemühen Sie sich nicht«, sagte Harriet. »Eigentlich wollte ich auch nicht über mich mit Ihnen sprechen, sondern über Mr. Alexis.«
» Ce pauvre Alexis! Es war Mademoiselle, die ihn gefunden hat, wie ich höre?«
»Ja. Und ich frage mich nun, was für ein Mensch er eigentlich war und warum er sich – auf diese Weise das Leben genommen haben könnte.«
»Ach ja! Das fragen wir uns alle. Es muß wohl das russische Temperament
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