Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
über das Rasiermesser, das Paul Alexis getötet hatte, eine Belohnung von einhundert Pfund ausgesetzt. Bunter, von seiner ergebnislosen Reise nach Eastbourne zurückgekehrt, war seinem Herrn nach Wilvercombe gefolgt und hatte frische Hemden, Kragen und sonstige Utensilien mitgebracht. Harriet Vane hatte in einem weinroten Kleid mit Lord Peter getanzt. Wimsey sagte sich völlig zu recht, daß eine Frau, die sich von einem Mann beim Kleiderkauf raten ließ, seinem Urteil nicht völlig gleichgültig gegenüberstehen konnte. Verschiedene Frauen hatten sich zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Winkeln der Erde schon nach Wimseys Rat – und manchmal auch auf seine Kosten – eingekleidet, aber von diesen hatte er es auch erwartet. Von Harriet hatte er es jedoch nicht erwartet, und so war er unverhältnismäßig überrascht und erfreut, wie wenn er in den Straßen von Aberdeen einen Sovereign gefunden hätte.
Wie alle männlichen Geschöpfe war Wimsey im Grunde eine schlichte Seele.
Nun hatte er aber nicht nur über diese höchst befriedigende Vergangenheit und Gegenwart nachzusinnen; vielmehr sah er auch einem recht interessanten Tag entgegen. Harriet hatte eingewilligt, heute nachmittag mit ihm vom Satans-Bügeleisen nach Darley zu wandern und den Strand abzusuchen. Da laut Gezeitenplan um 16.45 Uhr Niedrigwasser war, hatten sie ihre Abfahrt so geplant, daß sie um 15.30 Uhr am Bügeleisen ankommen würden. Nach einer kleinen Stärkung wollten sie dann zu ihrer Expedition aufbrechen und sehen, was ihnen der Strand an Hinweisen zu bieten hatte, während Bunter den Wagen auf der Küstenstraße zum Hinks’s Lane brachte; danach würden sie dann alle drei in der ursprünglichen Formation zum Stützpunkt Wilvercombe zurückkehren. Soweit war alles klar, außer daß Harriet sich nicht vorstellen konnte – und das auch sagte –, was sie nach einer Woche ungewöhnlich hoher Wasserstände wohl am Strand noch zu finden hoffen konnten. Sie räumte jedoch ein, daß sie Bewegung brauchte und Wandern eine der gesündesten Bewegungsarten war.
Überdies hatte Harriet – und das war von all den schönen Dingen, auf die er sich freuen durfte, das unmittelbar bevorstehende – sich bereit gefunden, Lord Peter Wimsey nach dem Frühstück zu einer Konferenz im Hotel Resplendent zu empfangen. Wimsey hielt es für ausgesprochen notwendig, die bisher erzielten Fortschritte tabellarisch zu erfassen und in irgendeine Ordnung zu bringen. Die Konferenz war für zehn Uhr anberaumt, und Wimsey zog sein Frühstück liebevoll in die Länge, um nur ja keine Sekunde dieses Vormittags rastlos und unausgefüllt zuzubringen. Woran man sieht, daß Seine Lordschaft die Phase des Lebens erreicht hatte, in welcher ein Mensch sogar aus seinen Leidenschaften epikureische Freuden ziehen kann – jenen glückseligen Zeitraum zwischen dem selbstquälerischen Überschwang der Jugend und dem verdrießlichen carpe diem des nahenden Greisenalters.
Der Sturm hatte sich endlich gelegt. In der Nacht hatte es ein wenig geregnet, aber jetzt war der Himmel wieder heiter, und nur eine sanfte Brise kräuselte das weite Blau des Meeres, auf das man aus dem Speisesaal des Bellevue blickte. Inspektor Umpelty war mit seinen Helfern schon frühmorgens um vier draußen bei den Mahlzähnen gewesen und hatte vorhin kurz bei Wimsey hereingeschaut, um ihm zu melden, daß sie noch immer nichts gefunden hatten.
»Und wieso die Leiche nicht schon längst irgendwo an Land gekommen ist, verstehe ich nicht«, maulte er. »Wir haben die ganze Küste von Fishy Ness bis nach Seahampton und beiderseits der Flußmündung beobachten lassen. Sie muß sich irgendwo verfangen haben. Wenn wir sie bis nächste Woche nicht haben, müssen wir sie abschreiben. Wir können das Geld der Steuerzahler nicht für die Suche nach ertrunkenen Ausländern zum Fenster hinauswerfen. Die Leute murren so schon genug, und die Zeugen können wir auch nicht ewig hierbehalten. Na ja, bis später; wir versuchen es bei Niedrigwasser noch einmal.«
Um zehn Uhr nahmen Wimsey und seine Mitarbeiterin vor einem hübschen Stapel Schmierpapier Platz. Harriet wollte die Sache kurz und schmerzlos hinter sich bringen.
»Nach welchem System wollen wir vorgehen? Bevorzugen Sie die Michael-Finsbury-Methode des Doppeleintrags wie in Die falsche Kiste oder eine von diesen Tabellen mit je einer Spalte für ›Verdächtige‹, ›Alibi‹, ›Zeugen‹, ›Motive‹ und so weiter, jeweils mit Prozentangaben?«
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher