Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
bewußt, daß alle anwesenden Frauen heimlich oder in offener Neugier zu ihr und Wimsey blickten, und dieses Wissen machte sie übermütig.
»Ja«, sagte sie, »da bin ich. Bei frivolem Tun. Sie wußten wohl gar nicht, daß ich das kann?«
»Ich habe stets vorausgesetzt, daß Sie alles können.«
»O nein. Ich kann nur, was ich gern tue.«
»Das werden wir gleich sehen.«
Das Orchester stimmte sanft eine verträumte Weise an. Wimsey trat auf Harriet zu und führte sie sicher bis mitten aufs Parkett. Während der ersten Takte hatten sie die ganze Tanzfläche für sich allein.
»Endlich«, sagte Wimsey, »sind wir allein. Das ist keine originelle Feststellung, aber ich bin nicht in der Stimmung, Epigramme zu erfinden. Ich habe Qualen gelitten, und meine Seele ist wund. Und nun, da ich Sie für einen kurzen Augenblick für mich allein habe –«
»Nun?« sagte Harriet. Sie wußte gut, daß ihr weinrotes Kleid ihr stand.
»Was halten Sie von Mr. Henry Weldon?« fragte Wimsey.
»Oh!«
Das war eigentlich nicht die Frage, die Harriet erwartet hatte. Sie sammelte in aller Eile ihre Gedanken. Es war ungeheuer wichtig, daß sie die absolut leidenschaftslose Detektivin blieb.
»Seine Manieren sind widerlich«, sagte sie, »und ich glaube, bei seinem Verstand lohnt es sich auch nicht länger zu verweilen.«
»Das ist es ja.«
»Was ist was?«
Wimsey beantwortete die Frage mit einer Gegenfrage.
»Warum ist er hier?«
»Sie hat ihn gerufen.«
»Schon, aber warum ist er hier? Ein plötzlicher Anfall von Sohnesliebe?«
»Sie glaubt es.«
»Glauben Sie es auch?«
»Es wäre möglich. Aber wahrscheinlicher ist, daß er es sich nicht mit ihr verderben will. Sie hat nämlich Geld.«
»Ganz recht. Komisch ist nur, daß ihm das jetzt erst eingefallen ist. Er sieht ihr sehr ähnlich, nicht?«
»O ja. So sehr, daß ich zuerst ein ganz merkwürdiges Gefühl hatte, als ob ich ihm schon einmal begegnet wäre. Meinen Sie, die beiden seien sich vielleicht zu ähnlich, um miteinander auszukommen?«
»Zur Zeit scheinen sie sich bestens zu verstehen.«
»Wahrscheinlich ist er froh, von Paul Alexis erlöst zu sein, und kann seine Freude nicht verhehlen. Besonders gewitzt ist er nicht.«
»So deutet es die weibliche Intuition?«
»Ach was, weibliche Intuition! Finden Sie ihn vielleicht romantisch oder undurchschaubar?«
»Nein, leider. Ich finde ihn nur beleidigend.«
»So?«
»Und ich wüßte gern, warum er das ist.«
Kurze Stille. Harriet fand, Wimsey habe jetzt sagen müssen: »Wie gut Sie tanzen.« Da er es nicht sagte, war sie mehr und mehr überzeugt, daß sie tanzte wie eine Wachspuppe mit Sägemehl in den Beinen. Wimsey hatte noch nie mit ihr getanzt, sie noch nie im Arm gehabt. Es hätte ein großer Augenblick für ihn sein müssen. Aber er schien mit den Gedanken ganz und gar bei der langweiligen Person eines ostanglischen Bauern zu sein. Sie bekam einen regelrechten Minderwertigkeitskomplex und stolperte über die Füße ihres Partners.
»Verzeihung«, nahm Wimsey ritterlich die Schuld sofort auf sich.
»Meine Schuld«, sagte Harriet. »Ich bin eine miserable Tänzerin. Geben Sie sich keine Mühe mit mir. Hören wir auf. Sie brauchen bei mir nicht den Höflichen zu spielen.«
Schlimmer und immer schlimmer. Jetzt war sie auch noch zänkisch und egoistisch. Wimsey sah sie verdutzt von oben an und lächelte plötzlich.
»Harriet, Liebste, und wenn Sie tanzten wie ein ältlicher Elefant, den das Zipperlein plagt, würde ich mit Ihnen Sonne und Mond vom Himmel tanzen! Ich habe zweitausend Jahre darauf gewartet, Sie in diesem Kleid tanzen zu sehen.«
»Alberner Kerl!« sagte Harriet.
Schweigend und in schönster Harmonie kreisten sie übers Parkett. Antoine, der eine umfangreiche Person in Jadegrün und Diamanten führte, näherte sich kometengleich ihrer Bahn und flüsterte Harriet über eine fette weiße Schulter hinweg ins Ohr:
» Qu’est-ce que je vous ai dit? L’élan, c’est trouvé. «
Er glitt geschickt davon, und Harriet wurde rot.
»Was hat dieser Mensch gesagt?«
»Er meint, ich tanzte mit Ihnen besser als mit ihm.«
»Unverschämtheit!« Wimsey stierte über die zwischen ihnen Tanzenden hinweg ein Loch in Antoines eleganten Rücken.
»Nun erzählen Sie schon«, sagte Harriet. Sie hatten den Tanz auf der anderen Seite des Parketts beendet, und es war nur natürlich, daß sie sich an den nächstbesten Tisch setzten. »Sagen Sie mir, was Sie an Henry Weldon so stört.«
»Henry Weldon?«
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