Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
faul. Ihre Männer sind ihnen untreu und ihre Liebhaber laufen ihnen davon, und was sagen sie dann? Sagen sie, ich habe zwei Hände, zwei Füße, fünf Sinne, einen Kopf, und nun sorge ich für mich selbst? Nein. Sie sagen: Gebt mir Kokain, gebt mir Cocktails, gebt mir Aufregung, gebt mir meinen Gigolo, gebt mir l’amo-o-ur ! Wie ein mouton, der auf der Wiese blökt. Wenn die wüßten!«
Harriet lachte.
»Sie haben recht, Monsieur Antoine. Ich glaube auch nicht, daß l’amour letzten Endes so wichtig ist.«
»Aber verstehen Sie mich recht«, sagte Antoine, der wie die meisten Franzosen im Grunde sehr ernst und häuslich war, »ich sage nicht, die Liebe ist nicht wichtig. Es ist sicherlich sehr schön, zu lieben und einen liebenswerten Menschen zu heiraten, der einem schöne, gesunde Kinder schenkt. Dieser Lord Peter Wimsey, par exemple, der offenbar ein Herr von allergrößter Integrität ist –«
»Oh, lassen Sie bitte ihn aus dem Spiel!« unterbrach Harriet ihn hastig. »An den habe ich nicht gedacht. Ich dachte an Paul Alexis und diese Leute, die wir jetzt besuchen wollen.«
»Ah! C’est différent. Mademoiselle, ich glaube, Sie kennen sehr wohl den Unterschied zwischen Liebe, die bedeutend ist, und Liebe, die nicht bedeutend ist. Aber Sie müssen bedenken, daß jemand eine bedeutende Liebe für eine unbedeutende Person haben kann. Und Sie müssen bedenken, daß Menschen, die am Geist oder am Körper krank sind, nicht einmal die Liebe brauchen, um Dummheiten zu machen. Wenn ich mich zum Beispiel einmal umbringe, kann es aus Langeweile sein, oder aus Ekel, oder weil ich Kopfschmerzen habe oder Leibschmerzen, oder weil ich keine erstklassige Stellung mehr halten kann und nicht drittklassig sein will.«
»Ich hoffe, Sie haben nichts dergleichen vor.«
»Oh, irgendwann werde ich mich umbringen«, erklärte Antoine fröhlich. »Aber bestimmt nicht aus Liebe. Nein. So détraqué bin ich nicht.«
Das Taxi hielt vor dem Wintergarten. Harriet hatte zuerst Hemmungen, die Fahrt zu bezahlen, aber sie merkte bald, daß so etwas für Antoine völlig normal war. Sie begleitete ihn zum Orchestereingang, und wenige Minuten später befanden sie sich in Gesellschaft Leila Garlands und Luis da Sotos – der perfekten Platinblonden und des perfekten Salonlöwen. Beide waren vollkommen von sich selbst eingenommen und unglaublich höflich; die einzige Schwierigkeit war – wie Harriet feststellte, als sie zusammen an einem Tisch saßen –, von ihnen irgendeine zuverlässige Auskunft zu bekommen. Leila schien sich auf eine Meinung festgelegt zu haben und blieb dabei. Paul Alexis sei »ein furchtbar netter Junge« gewesen, aber »einfach viel zu romantisch«. Es war Leila »schrecklich nahegegangen«, ihn fortzuschicken, und er habe es sich »schrecklich zu Herzen genommen« – aber schließlich habe sie für ihn nichts anderes mehr als Mitleid empfunden – er sei so »schrecklich furchtsam und allein« gewesen. Als Luis dahergekommen sei, habe sie gleich gemerkt, wo ihre wirkliche Zuneigung lag. Sie verdrehte die großen Immergrünaugen nach Mr. da Soto, der mit einem schmachtenden Niederschlagen der gefransten Lider antwortete.
»Es hat mir um so mehr leid getan«, sagte Leila, »weil mein armer Paul –«
»Nicht mehr dein Paul, Schatz.«
»Natürlich nicht, Luis – aber der arme Kerl ist doch tot. Jedenfalls hat es mir leid getan, weil Paul wegen irgend etwas so furchtbaren Kummer zu haben schien. Aber er hat sich mir nie anvertraut, und was soll eine Frau denn machen, wenn ein Mann sich ihr nicht anvertrauen will? Ich hab mich doch manchmal regelrecht gefragt, ob er nicht von irgend jemandem erpreßt wurde.«
»Warum? War er knapp bei Kasse?«
»Ja, doch, das auch. Natürlich hätte mir das überhaupt nichts ausgemacht. So eine bin ich nicht. Aber sehen Sie, es ist trotzdem nicht nett, wenn eine Frau sich ausmalen muß, daß ein Verehrer von ihr wegen irgendwas erpreßt wird. Ich meine, da weiß man doch nie, ob man nicht in irgend etwas Unangenehmes hineingezogen wird. Ich meine, es ist einfach nicht nett, oder?«
»Ganz im Gegenteil. Wann hat das denn angefangen, daß er Kummer zu haben schien?«
»Mal überlegen. Ich glaube, das war vor ungefähr fünf Monaten. Ja, da war es. Ich meine, das war, als das mit den Briefen anfing.«
»Was für Briefen?«
»Ach so, ja, das waren so lange Briefe mit ausländischen Briefmarken drauf. Ich glaube, sie kamen aus der Tschechoslowakei oder einem von diesen komischen
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