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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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muß Unheil künden.
FRAGMENT

    DIENSTAG, 23. JUNI
    Harriet kam indessen mit ihrem Roman nicht gut voran. Da gab es nicht nur dieses ärgerliche Problem mit der Rathausuhr – oder mußte sie das Ding nicht überhaupt Stadthallenuhr nennen, weil es in Schottland spielte? –, sie war zudem an einem Punkt angelangt, an dem nach den Wünschen des Herausgebers der Serie, der immerhin für die Originalrechte zahlte, die Heldin und der Freund des Detektivs sich ineinander verlieben sollten. Nun ist aber jemand, dessen bisherige Erfahrungen mit der Liebe enttäuschend waren, der außerdem eben erst eine aufreibende Szene mit einem neuen Bewerber hinter sich gebracht hat und der sich zur Zeit noch obendrein mit den unerquicklichen Liebesangelegenheiten Dritter befassen muß, die gewaltsam und blutig endeten, wohl nicht in der rechten Stimmung, sich hinzusetzen und die Verzückungen zweier händchenhaltend im Rosengarten wandelnder Unschuldslämmer abzuhandeln. Harriet schüttelte ungehalten den Kopf und wandte sich der wenig erfreulichen Aufgabe zu.
    »Weißt du, Betty, ich glaube, du mußt mich manchmal für einen ziemlich alltäglichen Trottel halten.«
    »Aber ich halte dich überhaupt nicht für einen Trottel, du Trottel.«
    Harriet fürchtete, das würden nicht einmal die Leser der Daily Message witzig finden. Na ja, weiter im Text. Das Mädchen mußte jetzt irgend etwas Ermutigendes sagen, sonst kam dieser stammelnde junge Schwachkopf nie zur Sache.
    »Ich finde es ja so wunderbar von dir, daß du das alles tust, um mir zu helfen.«
    Na bitte, jetzt halste sie dem unglückseligen jungen Mädchen wieder unbarmherzig diese häßliche Bürde der Dankbarkeit auf. Aber Betty und Jack waren sowieso beide Heuchler, denn sie wußten ganz genau, daß Robert Templeton die ganze Arbeit machte. Trotzdem:
    »Als ob es auf der Welt etwas gäbe, was ich für dich nicht täte – Betty!«
    »Ja, Jack?«
    »Betty, Liebste – könntest du nicht vielleicht –«
    Harriet sah ein, daß sie selbst nicht konnte, auch nicht vielleicht. Sie griff zum Telefon, ließ sich mit der Telegrammannahme verbinden und diktierte eine kurze, barsche Mitteilung an ihren leidgeprüften Agenten: »Sagen Sie Bootle, ich weigere mich, Liebesgeschichte einzuflechten – Vane.«
    Danach fühlte sie sich wohler, aber an dem Roman zu arbeiten war einfach nicht möglich. Konnte sie nicht etwas anderes tun? Doch. Sie griff wieder zum Telefon und ließ bei der Direktion anfragen, ob man sie irgendwie mit Monsieur Antoine verbinden könne.
    Die Direktion war es offenbar durchaus gewöhnt, weibliche Gäste mit Monsieur Antoine zu verbinden. Man hatte eine Telefonnummer, unter der er anzutreffen sein mußte. Er war es. Ob Monsieur Antoine Miss Vane mit Miss Garland und Mr. da Soto bekannt machen könne? Aber gewiß. Nichts leichter als das. Mr. da Soto spiele im Wintergarten, und das Morgenkonzert müsse bald vorüber sein. Miss Garland werde wahrscheinlich mit ihm essen gehen. So oder so, Monsieur Antoine werde das in die Hand nehmen, und wenn Miss Vane es wünsche, werde er sie abholen kommen und zum Wintergarten begleiten. Das sei sehr freundlich von Monsieur Antoine. Ganz im Gegenteil, es sei ihm ein Vergnügen; in einer Viertelstunde? Parfaitement.
    »Sagen Sie, Monsieur Antoine«, sagte Harriet, als ihr Taxi auf der Esplanade entlangfuhr. »Sie sind doch ein Mann von großer Erfahrung. Ist Liebe in Ihren Augen das Allerwichtigste auf der Welt?«
    »Sie ist, Gott sei’s geklagt, sehr, sehr wichtig Mademoiselle, aber das Allerwichtigste – nein!« »Was ist denn das Allerwichtigste?«
    »Mademoiselle, ich will Ihnen ehrlich sagen, daß ein gesunder Geist in einem gesunden Körper das größte Geschenk ist, das le bon Dieu einem machen kann, und wenn ich so manche Leute sehe, die gesundes Blut und einen kräftigen Körper haben und sich mit Drogen und Alkohol und allerlei Narreteien kaputtmachen und ihr Gehirn zerstören, werde ich sehr zornig. Das sollten sie denen überlassen, die nicht anders können, weil für sie das Leben ohne Hoffnung ist.«
    Harriet wußte kaum, was sie antworten sollte; er hatte das mit soviel persönlicher und tragischer Anteilnahme gesagt. Zum Glück wartete Antoine nicht erst auf eine Antwort.
    » L’amour! Diese Damen kommen und tanzen und holen sich Appetit und wollen Liebe und halten das für Glück. Und mir erzählen sie von ihrem Kummer – mir –, und dabei haben sie gar keinen Kummer, sie sind nur dumm und selbstsüchtig und

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