Wimsey 09 - Mord braucht Reklame
anzutreffen. Sie stellte ihn zur Rede, erhielt eine unverschämte Antwort und ging kopfschüttelnd ihres Weges. Eine Viertelstunde später verließ Mr. Bredon seine Klause. Er war, wie sie erwartet hatte, im Abendanzug und sah, fand sie, wie ein richtiger Herr aus. Sie bediente entge genkommend den Aufzug für ihn, und Mr. Bredon, der stets Höfliche, klappte während der Abfahrt seinen Zylinder aus und setzte ihn sich auf den Kopf, offenbar zu dem einzigen Zweck, ihn beim Aussteigen vor ihr zu ziehen.
In einem Taxi nach Westen nahm Mr. Bredon seine Brille ab, kämmte den Seitenscheitel aus, klemmte sich ein Monokel ins Auge und war, bevor sie den Piccadilly Circus erreichten, wieder Lord Peter Wimsey. Mit verträumtem Blick sah er zu den flimmernden Lichtreklamen empor, als wüßte er, ein weltfremder Astronom, nichts von den schöpferischen Händen, die diese minderen Sterne zur Herrschaft über die Nacht gesetzt hatten.
7
Bestürzendes Erlebnis eines Chefinspektors
In derselben Nacht, oder besser gesagt in den frühen Morgenstunden, hatte Chefinspektor Parker ein höchst unangenehmes Erlebnis. Es war für ihn um so ärgerlicher, als er nun wirklich nichts getan hatte, um solches zu verdienen.
Er hatte einen langen Tag beim Yard hinter sich – keine Aufregungen, keine interessanten Entdeckungen, keine erregenden Besucher, nicht einmal ein ent-juwelter Maharadscha oder ein finsterer Chinese – nur 21 durchzulesende und auszuwertende Berichte von Gesprächen mit Polizeispitzeln, 513 Briefe aus der Bevölkerung als Reaktion auf eine über den Rundfunk gesendete Fahndungsmeldung und ein bis zwei Dutzend anonyme Zuschriften, alle wahrscheinlich von Irren verfaßt. Obendrein hatte er auf einen Anruf von einem Inspektor warten müssen, der nach Essex gefahren war, um ein Auge auf gewisse sonderbare Bewegungen von Motorbooten in der BlackwaterMündung zu werfen. Falls das Ergebnis positiv war, erforderte es unverzügliches Handeln, aus welchem Grunde Mr. Parker es für besser gehalten hatte, den Anruf in seinem Büro abzuwarten, statt nach Hause zu gehen und sich ins Bett zu legen, um gegen ein Uhr früh dort wieder herausgeholt zu werden. So saß er also treu und brav in seinem Dienstzimmer, verglich Informationen und stellte gerade einen Plan für die Arbeit des morgigen Tages auf, als wie erwartet das Telefon klingelte. Er warf einen Blick auf die Uhr und sah, daß sie zehn Minuten nach eins zeigte. Die Nachricht war kurz und unbefriedigend: Es gab nichts zu berichten; das verdächtige Boot war mit dieser Flut nicht eingelaufen; es gab nichts zu unternehmen; Chefinspektor Parker durfte nach Hause gehen und wenigstens noch die kurzen Morgenstunden verschlafen.
Mr. Parker nahm Enttäuschungen mit der philosophischen Gelassenheit jenes Herrn in Brownings Gedicht hin, der sich der Mühe unterzog, Musikstunden zu nehmen, nur für den Fall, daß die Dame seines Herzens von ihm ein Lied mit Lautenobligato verlangte. Vertane Zeit, wie sich zeigte, aber – es hätte ja sein können. So etwas gehörte eben dazu. Der Chefinspektor räumte seine Papiere ordentlich fort, schloß den Schreibtisch ab, verließ das Gebäude, ging zur Embankment, nahm eine verspätete Bahn zur Theobald's Road und begab sich von dort gemessenen Schrittes in die Great Ormond Street.
Er schloß die Haustür mit dem Schlüssel auf und trat ein. Es war dasselbe Haus, in dem er lange eine bescheidene Junggesellenwohnung gehabt hatte, doch nach seiner Heirat hatte er die Wohnung darüber noch dazugemietet, so daß er jetzt genaugenommen eine siebenzimmrige Maisonette bewohnte, abgesehen davon, daß eine kleinliche Vorschrift der Stadtverwaltung es ihm verbot, die beiden Etagen durch eine ins Treppenhaus einzubauende Tür gegen das übrige Haus abzusetzen, denn den Bewohnern der ersten Etage mußte im Brandfalle der Weg zum Dach offenstehen.
Die für alle Bewohner gemeinsame Eingangsdiele lag im Dunkeln, als er eintrat. Er knipste das Licht an und fischte in dem kleinen, verglasten Briefkasten, auf dem «Wohnung 3 – Parker» stand, nach Post. Er fand eine Rechnung und eine Drucksache und schloß daraus völlig richtig, daß seine Frau den ganzen Abend zu Hause und zu müde oder zu faul gewesen war, um nach unten zu gehen und die Halb-zehn-Uhr-Post heraufzuholen. Er wollte sich schon zur Treppe wenden, als ihm einfiel, daß im Briefkasten 4 ein Brief für Wimsey unter dem Namen Bredon sein könnte. Normalerweise wurde dieser Briefkasten natürlich
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