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Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Titel: Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Gelegenheit; aber er hatte natürlich strikte Anweisungen hinterlassen, daß in seiner Abwesenheit niemand ins Haus hinein oder aus ihm heraus dürfe. Irgendwie mußte ich also dafür sorgen, daß ich für die alte Martha, die eine treue Seele ist, Gott segne sie, zu einer größeren Autorität wurde als er. Das hieß, Lord Peter mußte die Bühne räumen für den Zauberer. Die Therapie wurde erprobt und erwies sich als erfolgreich – daher die Entführung und Rettung.
    Also, nun hören Sie zu – und werden Sie nicht gleich wütend. Es ist ja jetzt alles vorbei. Alice Wetherall ist einer jener bedauerlichen Menschen, die an einer angeborenen Unterfunktion der Schilddrüse leiden. Sie kennen ja die Schilddrüse – dieses Ding am Hals, das die Lokomotive heizt und das Gehirn auf Trab hält. Diese Drüse arbeitet bei manchen Menschen nicht, wie sie soll, und Schwachsinn ist die Folge. Ihre Körper wachsen nicht, und ihr Verstand funktioniert auch nicht. Führt man ihnen das Zeug aber zu, dann entwickeln sie sich völlig normal – heiter und hübsch und intelligent und springlebendig wie die Grillen. Nur muß man es ihnen, wie Sie verstehen werden, ständig zuführen, sonst sinken sie wieder in den Schwachsinn zurück.
    Wetherall hat als hochbegabter junger Student, der gerade anfing, die Funktion der Schilddrüse zu begreifen, dieses Mädchen gefunden. Vor zwanzig Jahren war mit dieser Behandlungsmethode noch wenig experimentiert worden, aber er hatte einen gewissen Pioniergeist. Er kriegt das Mädchen also in die Finger, vollbringt eine Wunderheilung, und da er natürlicherweise stolz auf sich selbst ist, adoptiert er sie, finanziert ihr eine Ausbildung, findet Gefallen an ihr und heiratet sie schließlich. Nun müssen Sie wissen, daß diesen Menschen mit einer Schilddrüsenunterfunktion sonst gar nichts fehlt. Wenn man ihnen täglich ihre kleine Dosis gibt, sind sie völlig normal in jeder Beziehung, können ein ganz normales Leben führen und normale, gesunde Kinder bekommen.
    Natürlich wußte von dieser Schilddrüsengeschichte niemand etwas, außer der Frau selbst und ihrem Mann. Und alles ging gut, bis Sie daherkamen. Da wurde Wetherall eifersüchtig –«
    »Er hatte keinen Grund!«
    Wimsey zuckte die Achseln.
    »Möglicherweise, mein Bester, hat die Dame gewisse Vorlieben gezeigt – damit brauchen wir uns jetzt nicht auseinanderzusetzen. Jedenfalls wurde Wetherall eifersüchtig und sah ein großartiges Racheinstrument in seinen Händen. Er schob seine Frau in die Pyrenäen ab, isolierte sie von jeglicher Hilfe und entzog ihr dann einfach den Schilddrüsenextrakt. Zweifellos hat er ihr gesagt, was er vorhatte, und auch warum. Es machte ihm Freude, ihre verzweifelten Bitten zu hören – sie bewußt mitkriegen zu lassen, wie sie sich täglich, stündlich auf eine Stufe noch unter den Tieren zurückentwickelte –«
    »O, Gott!«
    »Sie sagen es. Natürlich würde sie nach einer Weile, ein paar Monaten oder so, nicht mehr wissen, was mit ihr vorging. Er hatte dann immer noch die Genugtuung, sie zu beobachten – zu sehen, wie ihre Haut sich verdickte, ihr Körper verfiel, ihre Haare ausgingen, ihre Augen leer wurden, ihre Sprache zu bloßen tierischen Geräuschen degenerierte, ihr Gehirn verkam, ihre Manieren –«
    »Hören Sie auf, Wimsey!«
    »Na ja, Sie haben es ja alles selbst gesehen. Aber das genügte ihm nicht. Also gab er ihr von Zeit zu Zeit wieder den Thyroidextrakt und brachte sie soweit, daß sie ihre Schmach bewußt wahrnehmen konnte –«
    »Wenn ich das Untier nur in die Finger bekäme!«
    »Lieber nicht. Na ja, und eines Tages wollte es dann ein glücklicher Zufall, daß Mr. Langley – der verliebte Mr. Langley – tatsächlich aufkreuzte. Welcher Triumph, ihm vor Augen zu führen –«
    Langley brachte ihn wieder zum Schweigen.
    »Schon gut! Aber raffiniert war das schon, nicht wahr? So einfach. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr fasziniert es mich. Aber gerade diese besonders ausgeklügelte Grausamkeit war schließlich sein Verderben. Als Sie mir nämlich die Geschichte erzählten, konnte ich nicht umhin, die Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion zu erkennen, und ich dachte mir: ›Gesetzt den Fall –‹ und machte den Apotheker ausfindig, dessen Namen Sie auf dem Päckchen gelesen hatten, und nachdem ich ein paar bürokratische Hindernisse ausgeräumt hatte, brachte ich ihn zu dem Eingeständnis, daß er Wetherall schon einige Male eine Sendung Thyroidextrakt geschickt

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