Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel
schaukelnd an der Stange gehangen. Dann hatte eine Stimme gerufen: »Er kommt! Er kommt!« und der Zauberer hatte die Tür des großen Schranks mit den goldenen Figuren darauf geöffnet, der in der Mitte des Kreises stand, und er und die Dame waren eingetreten und hatten die Tür hinter sich geschlossen.
Das Rauschen war immer lauter geworden, und die Hausgeister hatten gekreischt und geschnattert – und dann hatte es mit einemmal einen Donnerschlag und einen hellen Blitz gegeben, und der Schrank war auseinandergefallen. Und siehe! – der Zauberer und die Dame waren einfach nicht mehr dagewesen, und man hatte nie mehr etwas von ihnen gesehen und gehört.
Das war Marthas Geschichte, die sie anderntags ihren Nachbarn erzählte. Wie sie selbst dem schrecklichen Haus entkommen war, wußte sie nicht mehr. Doch als einige Zeit später eine Gruppe von Dorfbewohnern allen Mut zusammenraffte und das Haus noch einmal aufsuchte, fand sie es leer und verlassen. Dame, Zauberer, Diener, Hausgeister, Möbel und Gepäck – alles war fort, und keine Spur war geblieben, abgesehen von ein paar geheimnisvollen, auf den Boden der Hütte gezeichneten Strichen und Figuren.
Das war nun wirklich ein Wunder. Und noch unheimlicher war dann das Verschwinden der alten Martha selbst, das sich drei Nächte später ereignete.
Am Tag darauf kam der amerikanische Arzt wieder und fand ein leeres Heim und eine Legende vor.
»Jacht ahoi!«
Langley spähte bang über die Reling der Abracadabra, als das Boot aus der schwarzen Finsternis auftauchte. Als der erste Passagier an Bord kam, lief er ihm eilig zur Begrüßung entgegen.
»Alles geklappt, Wimsey?«
»Bestens. Sie ist natürlich noch ein bißchen verstört – aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie ist noch wie ein Kind, aber es geht ihr täglich besser. Kopf hoch, alter Junge – sie hat schon gar nichts Erschreckendes mehr an sich.«
Langley trat zögernd vor, als eine vermummte weibliche Gestalt vorsichtig an Bord gehoben wurde.
»Sprechen Sie mit ihr. Sie erkennt Sie vielleicht – vielleicht aber auch nicht, das kann ich nicht vorhersagen.«
Langley nahm allen Mut zusammen. »Guten Abend, Mrs. Wetherall«, sagte er und streckte die Hand aus.
Die Frau schlug die Kapuze zurück. Ihre blauen Augen musterten ihn scheu im Schein der Lampe – dann formten ihre Lippen sich zu einem Lächeln.
»Ich – kenne Sie – natürlich, ich kenne Sie. Sie sind Mr. Langley. Wie schön, Sie wiederzusehen.«
Sie schloß ihre beiden Hände um die seine.
»Tja, Langley«, sagte Lord Peter, indem er Soda aus dem Siphon in die Gläser füllte, »das war das abscheulichste Verbrechen, das aufzuklären ich je das Vergnügen hatte. Meine religiösen Vorstellungen sind ein wenig verschwommen, aber ich hoffe, daß Wetherall in der nächsten Welt etwas wirklich Gräßliches zustößt. Sagen sie halt.
Wissen Sie, in der Geschichte, die Sie mir erzählt hatten, waren ein paar sehr merkwürdige Punkte. Die gaben mir gleich zu Beginn eine Art roten Faden.
Da war zunächst dieser ungewöhnliche Verfall oder Schwachsinn, der eine junge Frau in den Zwanzigern befiel – und das zu so einem gelegenen Zeitpunkt, nämlich nachdem Sie im Hause Wetherall ein- und ausgegangen waren und sich vielleicht ein wenig zu empfänglich gezeigt hatten, nicht? Dann daß ihr Zustand sich regelmäßig alle Jahre einmal besserte – so völlig anders als sonst bei Geisteskrankheiten. Sah ganz so aus, als ob da jemand die Finger im Spiel gehabt hätte.
Hinzu kam der Umstand, daß Mrs. Wetherall von Anfang an unter der medizinischen Betreuung ihres Gatten stand, ohne daß Familie oder Freunde etwas davon wußten und dem Burschen hätten auf die Finger sehen können. Dann ihre völlige Isolierung an einem Ort, wo kein Arzt sie zu Gesicht bekam und sie selbst in ihren lichten Momenten keine Menschenseele hatte, die sie hätte verstehen oder von ihr verstanden werden können. Komisch auch, daß es eine Gegend war, wo man aufgrund Ihrer Interessen durchaus damit rechnen konnte, daß Sie auf kurz oder lang aufkreuzen würden und man Sie mit dem grausigen Anblick erfreuen konnte, den Mrs. Wetherall inzwischen bot. Hinzu kamen Wetheralls sattsam bekannte Forschungen und die Tatsache, daß er mit einer Londoner Apotheke in Verbindung stand.
Das alles zusammen verdichtete sich in mir zu einer Theorie, aber die mußte ich zuerst noch überprüfen, bevor ich sicher sein konnte. Wetherall wollte nach Amerika, und das gab mir die
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