Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel
blickten aufs Tanzparkett, wo Sir Charles Deverills Gäste zu den fröhlichen Klängen einer Kapelle, die auf der Musikergalerie am andern Ende des Ballsaals saß, einen Foxtrott tanzten. »Hallo, Giles«, sagte Mrs. Wrayburn, »Sie sehen erhitzt aus.«
»Das bin ich auch«, sagte Giles Pomfret. »Wäre ich doch nur nicht auf dieses infernalische Kostüm verfallen! Es ist ja ein schöner Billardtisch – aber ich kann mich nicht damit hinsetzen!« Er fuhr sich über die erhitzte Stirn, die von einem eleganten grünen Lampenschirm gekrönt war. »Wenn ich mich mal ausruhen will, kann ich nur mein Hinterteil auf einem Heizkörper abstützen, aber die Dinger sind voll in Betrieb, das ist also auch nicht gerade was zur Abkühlung. Gott sei Dank gibt dieser Bretterverhau mir wenigstens immer eine gute Ausrede, mich vor dem Tanzen zu drücken.«
Er lehnte sich an die nächststehende Säule und setzte ein Märtyrergesicht auf.
»Nina Hartford hat’s noch am besten«, fand Mrs. Wrayburn. »Wasserpolo – wie vernünftig – nur ein Badeanzug und ein Ball; wobei ich das bei einer weniger barocken Figur allerdings schöner fände. Euch Spielkarten finde ich am schönsten, und die Schachfiguren stehen euch nicht viel nach. Da hinten tanzt Gerda Bellingham mit ihrem Gatten – ist sie nicht zu süß in dieser roten Perücke? Und die Turnüre und alles. Zum Glück haben sie nicht allzusehr auf Lewis Carroll gemacht. Charmian Grayle ist doch die allerliebste Weiße Königin – wo ist sie denn überhaupt?«
»Ich kann dieses junge Ding nicht ausstehen«, sagte Lady Hermione. »Sie ist flatterhaft.«
»Aber Verehrteste!«
»Sie finden mich sicher altmodisch. Meinetwegen, ich bin es gern. Ich sage, sie ist flatterhaft, und außerdem hat sie kein Herz. Ich habe sie vor dem Abendessen beobachtet, und Tony Lee kann mir nur leid tun. Sie hat mit Harry Vibart geflirtet, was das Zeug hielt – um es nicht härter auszudrücken – und Jim Playfair hat sie auch an der Angel. Nicht einmal Frank Bellingham kann sie in Ruhe lassen, und dabei wohnt sie in seinem Haus.«
»Na, nun sagen Sie mal, Lady Hermione!« protestierte Sambourne, »da sind Sie aber ein bißchen hart gegen Miss Grayle. Ich meine, sie ist nun mal ein ausgesprochen flottes junges Ding und so.«
»Und dieses Wort ›flott‹ kann ich schon gar nicht leiden«, gab Lady Hermione erbost zurück. »Das bedeutet heutzutage doch nur trinkfest und liederlich. Und so ein junges Ding ist sie auch wieder nicht, junger Mann. Wenn sie so weitermacht, ist sie in drei Jahren ein altes Weib.«
»Liebe Lady Hermione«, meinte Wimsey, »wir können nicht alle so unberührt von der Zeit bleiben wie Sie.«
»Das können Sie schon«, versetzte die alte Dame, »wenn Sie auf Ihren Magen achtgeben – und auf Ihre Moral. Da kommt Frank Bellingham – sicher wieder auf der Suche nach etwas Trinkbarem. Die jungen Leute von heute müssen ja geradezu in Gin eingelegt sein.«
Der Foxtrott war zu Ende, und der Rote König bahnte sich seinen Weg durch die applaudierenden Paare zu ihnen.
»Hallo, Bellingham!«, sagte Wimsey. »Ihre Krone ist verrutscht. Gestatten Sie.« Er rückte mit geschickten Fingern Perücke und Kopfputz zurecht. »Das soll kein Vorwurf sein. Wo ist in diesen bolschewistischen Zeiten schon noch eine Krone sicher?«
»Danke«, sagte Bellingham. »Ich muß schon sagen, jetzt brauche ich was zu trinken.«
»Was habe ich Ihnen gesagt?« meinte Lady Hermione.
»Dann machen Sie aber rasch, mein Alter«, sagte Wimsey. »Sie haben noch genau vier Minuten Zeit. Kommen Sie nur ja nicht zu spät zum Sir Roger.«
»Recht haben Sie. Ach, übrigens tanze ich ihn mit Gerda. Wenn Sie ihr begegnen, können Sie ihr sagen, wo sie mich findet.«
»Wird gemacht. Lady Hermione, Sie geben natürlich mir die Ehre?«
»Unsinn! Sie werden doch nicht erwarten, daß ich in meinem Alter tanze! Der alten Frau gebührt die Rolle des Mauerblümchens.«
»Nichts da. Wenn ich doch nur das Glück gehabt hätte, früher zur Welt zu kommen, wären wir beide hier Seite an Seite als Ehepaar erschienen. Natürlich werden Sie den Sir Roger mit mir tanzen – es sei denn, Sie geben mir wegen einem dieser Jünglinge einen Korb.«
»Mit Jünglingen kann ich nichts anfangen«, sagte Lady Hermione. »Kein Mumm in den Knochen. Beine wie Stecken.« Sie ließ ihren Blick rasch an Wimseys scharlachroter Strumpfhose hinabgleiten. »Sie haben wenigstens noch andeutungsweise so etwas wie Waden. Mit Ihnen kann man
Weitere Kostenlose Bücher