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Wimsey 11 - Der Glocken Schlag

Wimsey 11 - Der Glocken Schlag

Titel: Wimsey 11 - Der Glocken Schlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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ihn gepflegt, so gut sie konnte. Der Hof liegt ein paar Kilometer außerhalb des Dorfes selbst, und sie hatte niemanden, den sie nach Hilfe schicken konnte. Sie sagt, zuerst habe der Mann auf französisch herumphantasiert, von den Kriegsereignissen und so, aber dann sei er in eine tiefe Bewußtlosigkeit gesunken, aus der sie ihn nicht habe aufwekken können. Als der Curé und der Commissaire ihn sahen, lag er reglos da, schwer atmend und bewußtlos.
    Sie zeigte die Kleidung, in der sie ihn gefunden hatte – Unterhemd, Unterhose, Socken, sehr verdrecktes und zerrissenes Armeehemd. Keine Uniform, keine Stiefel, keine Erkennungsmarke, keine Papiere. Es war klar, daß er am Rückzug teilgenommen hatte und wahrscheinlich über den Fluß hatte schwimmen müssen, um von der Front wegzukommen – das könnte erklären, warum er Uniform, Stiefel und Gepäck abgelegt hatte. Er schien etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt zu sein, und als er zum erstenmal von Amtspersonen in Augenschein genommen wurde, hatte er einen dunklen Bartwuchs von etwa einer Woche.«
    »Dann war er also vorher glattrasiert?«
    »So scheint es, Mylord. Man hat einen Arzt aus der Stadt zu ihm geschickt, und der konnte nur sagen, daß der Mann infolge der Schädelwunde wahrscheinlich eine schwere Gehirnverletzung davongetragen habe. Er hat ein paar Anweisungen für die Behandlung gegeben, aber er war ja selbst erst ein junger Medizinstudent mit wenig Erfahrung, der von der Armee aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt wurde. Inzwischen ist er gestorben.
    Zuerst hat man nun geglaubt, wenn der Mann erst wieder zu sich komme, werde man schon erfahren, wer er sei. Als er aber nach drei weiteren Wochen aus dem Koma erwachte, fand er sein Bewußtsein nur langsam wieder und hatte allem Anschein nach das Gedächtnis verloren, für eine Weile sogar die Spra che. Die Sprache kam nach und nach wieder, obwohl er sich anfangs nur undeutlich und mit langen Pausen ausdrücken konnte. Wahrscheinlich waren die Sprechzentren im Gehirn verletzt. Als er wieder soweit war, daß er verstehen und sich verständlich machen konnte, wurde er natürlich eingehend verhört. Er antwortete aber nur, daß sein Kopf vollkommen leer sei. Er erinnerte sich an nichts aus seiner Vergangenheit – an rein gar nichts. Er kannte weder seinen Namen noch den Ort, woher er kam; vom Krieg hatte er überhaupt keine Erinnerung mehr. Für ihn begann das Leben erst auf dem Bauernhof in Cy.«
    Monsieur Rozier machte eine eindrucksvolle Kunstpause, während Wimsey sein Erstaunen ausdrückte.
    »Nun, Mylord, Sie werden verstehen, daß der Fall sofort den Militärbehörden gemeldet werden mußte. Eine ganze Reihe von Offizieren hat ihn sich angesehen, aber keiner kannte ihn. Sein Bild und seine Körpermaße wurden in Umlauf gebracht, aber ohne Erfolg. Zuerst hat man geglaubt, er sei vielleicht Engländer – womöglich sogar Deutscher, was ja nun wirklich nicht angegangen wäre, wie Sie sicher verstehen. Dann hieß es aber, er habe ja, als Suzanne ihn fand, zunächst auf französisch phantasiert, und auch die bei ihm gefundenen Kleidungsstücke waren unzweifelhaft französisch. Nichtsdestotrotz wurde seine Beschreibung an die englische Armee weitergegeben, wiederum ohne Ergebnis, und nachdem der Waffenstillstand unterschrieben war, wurden auch Anfragen nach Deutschland gerichtet. Dort wußte man aber nichts von ihm. Natürlich haben diese Erkundigungen einige Zeit in Anspruch genommen, denn in Deutschland war Revolution, wie Sie wissen, und alles war sehr in Unordnung. In der Zwischenzeit mußte der Mann irgendwo leben. Er wurde ins Krankenhaus gebracht – in mehrere Krankenhäuser – und dort von Psychologen untersucht, aber sie wußten nichts mit ihm anzufangen. Man hat versucht – Sie verstehen, Mylord –, ihm Fallen zu stellen. So hat man ihm plötzlich irgendwelche Kommandos auf englisch, französisch und deutsch zugebrüllt, um dadurch eventuell eine Reaktion bei ihm auszulösen. Aber alles führte zu nichts. Er schien den Krieg total vergessen zu haben.«
    »So ein Glückspilz«, sagte Wimsey mit Gefühl.
    » Je suis de votre avis. Trotzdem wäre eine Reaktion irgendwelcher Art doch sehr zu begrüßen gewesen. Die Zeit verging, und keine Besserung trat ein. Man hat ihn wieder zu uns geschickt. Nun, wie Sie wissen, Mylord, kann man einen Menschen nicht repatriieren, der keine Nationalität hat. Kein Land nimmt ihn auf. Niemand wollte diesen unglücklichen Mann haben, außer Suzanne

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