Wimsey 11 - Der Glocken Schlag
und ihr bon-papa. Die brauchten einen, der auf dem Hof arbeitete, und dieser Bursche hatte, obwohl sein Gedächtnis futsch war, seine körperlichen Kräfte wiedererlangt und schien sich für die Arbeit gut zu eignen. Außerdem hatte das Mädchen sich in ihn verguckt. Sie wissen ja, wie das mit den Frauen geht. Wenn sie einen gesundgepflegt haben, ist man für sie so etwas wie ein Kind. Der alte Pierre Legros hat um die Erlaubnis nachgesucht, den Mann als seinen Sohn zu adoptieren. Es gab Schwierigkeiten – que voulez-vous ? Aber, enfin, da irgend etwas mit dem Mann geschehen mußte und er sich ruhig und anständig verhielt und keinen Ärger machte, wurde die Erlaubnis gegeben. Er wurde unter dem Namen Jean Legros adoptiert und bekam Papiere. Die Nachbarn gewöhnten sich allmählich an ihn. Nur ein Mann – einer, der ein Auge auf Suzanne geworfen hatte und sie gern geheiratet hätte – war sein Feind und hat ihn immer sale Boche genannt – aber Jean hat ihn eines Tages im estaminet niedergeschlagen, und seitdem wurde das Wort Boche nicht mehr gehört. Dann sprach sich nach ein paar Jahren herum, daß Suzanne ihn heiraten wollte. Der alte Curé hat sich dagegen gestemmt – er sagte, man wisse doch nicht, ob der Mann nicht schon verheiratet sei. Aber dann starb der alte Curé. Der neue wußte nicht viel über die Geschichte. Außerdem hatte Suzanne bereits gewisse Tatsachen geschaffen. Menschlich, Mylord, allzu menschlich. Die Behörden haben schließlich ihre Hände in Unschuld gewaschen; es war besser, die Situation zu legalisieren. Also hat Suzanne diesen Jean geheiratet, und ihr ältester Sohn ist jetzt neun Jahre alt. Seit dieser Zeit hat es nicht den mindesten Ärger gegeben – nur erinnerte Jean sich noch immer nicht an seine Vergangenheit.«
»In Ihrem Brief schreiben Sie«, sagte Wimsey, »daß Jean zur Zeit verschwunden ist.«
»Seit fünf Monaten, Mylord. Es heißt, er sei nach Belgien gereist, um Schweine zu kaufen, oder Kühe oder was weiß ich. Aber er hat nicht geschrieben, und seine Frau macht sich Sorgen um ihn. Sie glauben Informationen über ihn zu haben?«
»Nun ja«, meinte Wimsey, »wir haben eine Leiche. Und wir haben einen Namen. Aber wenn es sich mit diesem Jean Legros so verhalten hat, wie Sie sagen, dann ist der Name nicht seiner, wohl aber vielleicht die Leiche. Denn der Mann, dessen Namen wir haben, war 1918 und in den folgenden Jahren noch im Gefängnis.«
»Aha! Dann interessieren Sie sich also nicht weiter für Jean Legros?«
»Im Gegenteil. Sehr sogar. Wir haben ja immer noch die Leiche.«
» A la bonne heure «, sagte Monsieur Rozier vergnügt.
»Eine Leiche ist immer etwas. Haben Sie ein Photo? Die Maße? Irgendwelche Erkennungsmerkmale?«
»Ein Photo wäre bestimmt nicht von großem Nutzen, weil die Leiche, die wir gefunden haben, schon vier Monate alt und das Gesicht sehr entstellt war. Außerdem waren die Hände an den Gelenken abgeschnitten. Aber wir haben die Maße und zwei ärztliche Gutachten. Das letzte haben wir vor kurzem von einem Londoner Experten erhalten, und danach scheint es, als ob die Kopfhaut Spuren von einer alten Narbe zeigte, zusätzlich zu den frisch beigebrachten Verletzungen.«
»Aha, das wäre vielleicht eine Bestätigung. Er wurde also durch Schläge auf den Kopf getötet, Ihr Unbekannter?«
»Nein«, sagte Wimsey. »Alle Kopfverletzungen wurden nach dem Tode zugefügt. Das Expertengutachten bestätigt in diesem Punkt die Meinung des Polizeiarztes.«
»Woran ist er denn gestorben?«
»Das ist uns allen ein Rätsel. Keine Spur von einer tödlichen Wunde, Gift, Erwürgen oder Krankheit. Das Herz war gesund; die Eingeweide zeigen, daß er nicht verhungert ist – im Gegenteil, er war gut genährt und hatte ein paar Stunden vor seinem Tod noch gegessen.«
» Tiens ! Vielleicht ein Schlaganfall?«
»Wäre möglich. Das Gehirn, müssen Sie wissen, war schon ziemlich in Verwesung übergegangen. Da ist es sehr schwierig, etwas mit Sicherheit zu sagen, obwohl es gewisse Anzeichen für eine Blutung in der Hirnrinde gibt. Aber sehen Sie, ein schwerer Schlaganfall kann einen Menschen zwar töten, aber meist ist er nicht so entgegenkommend, ihn auch gleich zu beerdigen.«
»Genau. Da haben Sie vollkommen recht. Also, fahren wir mal zum Hof von Jean Legros.«
Das Gehöft war klein und schien sich in keinem allzu blühenden Zustand zu befinden. Kaputte Zäune, halbverfallene Stallungen und schlecht gejätete Felder verrieten knappe Mittel und Mangel an
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