Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten
«wer mag denn nur der bestaussehende Mann sein, dem Miss Twitterton jemals begegnet ist?»
«Wer immer er ist, ich bin ihm zu tiefem Dank verpflichtet. Er hat mir eine überaus belastende und ungebetene Rolle abgenommen!»
Es war ein Gefühl solcher Freude, am nächsten Morgen in Peters Armen aufzuwachen und ganz ruhig dazuliegen, um ihn nicht zu wecken, dass Harriet gleich einen schuldbewussten Stich verspürte. Womit hatte sie sich diesen Segen verdient? Forderte man so nicht das Schicksal heraus – ein Schicksal, das schon waffenstarrend und böse auf sie zurollte? Andererseits hatte sie doch wohl nicht die Pflicht, verdrießlich zu sein? War es denn nicht besser, sein Glück am Schopf zu packen?
«Warum denn aufstehn, weil die Sonne lacht?», ließ sich ihr Ehemann vernehmen.
Sie schmunzelte ihn an: «Hielten wir Lager, weil's war finstre Nacht? Nur, Eure Lordschaft – wenn wir noch packen müssen, bevor wir losfahren …» «Mmm», sagte er und hielt sie dabei fest umschlungen. «Ich bin sicher, du wirst feststellen, dass Bunter sich bereits ums Packen gekümmert hat. Fünf Minuten im Bett kannst du dir noch genehmigen.» «Peter», sagte sie nach einer Weile, «denkst du nicht manchmal, du hast dein Glück unmöglich verdient – ich rede von einem großen Glück, dich wieder daheim zu haben zum Beispiel –, wenn andere Menschen gleichzeitig solches Elend erleiden müssen?» Er stützte sich auf den Ellbogen und sah sie nachdenklich an. «Rein logisch betrachtet steht die Tatsache, ob wir diesen Morgen verdient haben, in keinem Zusammenhang damit, wie der Morgen von irgendjemand anderem aussieht.»
«Ich glaube nicht, dass es viel mit Logik zu tun hat», sagte sie. «Obwohl Aristoteles vielleicht ein wenig Licht ins Dunkel bringen könnte.»
«Immerzu musst du mir diesen unausstehlichen Kerl entgegenschleudern. Jetzt kommst du wohl mit Katharsis.»
«Richtig, Mitleid und Furcht. Weißt du noch? Er sagt, Mitleid empfinden wir angesichts von unverschuldetem Unglück, Furcht angesichts des Unglücks eines Menschen, der uns ähnelt.»
«Und nun leben wir in einer Welt voll unverschuldeten Unglücks, das auf die einstürzt, die uns ähneln?» «Du verstehst mich immer auf Anhieb!»
«Die aristotelischen Affekte sollen zur Läuterung führen», sagte er. «Können wir nicht lautere Freude empfinden?»
«Um den Preis des Leids anderer?»
«Nein, um den Preis der Erkenntnis, dass auch wir leiden könnten. Mit diesem Bewusstsein lässt sich die Freude schärfer empfinden, meinst du nicht?» «Eine Freude mit scharfen Kanten – so empfinde ich es!»
«Die Art, die einen auf einer Beerdigung tanzen lässt?» «Also, das ist wirklich herzlos, Peter!»
«Ich bin wohl etwas merkwürdig gestrickt. Aber wenn sich diese großen Worte über uns hinwegwälzen – der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit, alles Fleisch ist wie Gras, seine Stätte wird ihn nicht mehr schauen –, habe ich immer sofort den Impuls, mich dünnezumachen und Champagner zu trinken oder die Nacht durchzutanzen oder eine Oper zu hören.» «Oder eine schöne Frau zu finden?»
«Das war früher. Als ich noch nicht der zufriedene Gatte war.»
«Peter, wir sollten jetzt aber wirklich aufstehen, selbst wenn Bunter packt. Sonst haben wir keine Zeit zu frühstücken.»
«Großer Gott, Frau, warum hast du denn nichts gesagt?» Peter setzte sich abrupt auf. «Frühstück ist eine eben jener Freuden, denen wir frönen müssen, solange uns das Glück hold ist! Gibt es Eier mit Speck?» «Wenn ja, verrat es keinem.»
Erst unterwegs – Peter am Steuer, auf der Beifahrerseite Harriet, von Mrs. Merdles Lederpolstern sinnlich umfangen, und Bunter mit der Straßenkarte in Händen auf dem Rücksitz – wurde Harriet klar, wie froh sie über diesen Tapetenwechsel war. Durch England zu fahren war beinahe schon ebenso weit in den Bereich des Unvorstellbaren gerückt, wie in Frankreich auf die Jagd zu gehen. Man versagte es sich, ‹bis das hier vorbei ist›. Das Lokalblatt hatte ein Bild gebracht, ‹Ferien daheim›: Eine junge Frau im Badeanzug sonnte sich im Garten eines Vorstadthauses im Liegestuhl, und natürlich tollte jede Menge fröhlicher Kinder in Wald und Flur herum, die ohne den Krieg in finsteren Schulen in der Stadt gesessen hätten. Aber ein ausgewachsener Urlaub … sie musste sich kneifen, um glauben zu können, dass sie nicht träumte, und sich zu jeder Stunde einmal ermahnen, dass eine Reise in ernster Angelegenheit, nur weil
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