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Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten

Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten

Titel: Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers & Jill Paton Walsh
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allerdings meist Kirchenlieder. Auch Peter spielte, vornehmlich Bach. Was Harriet jetzt hörte, war Chopin, ein Nocturne. Und es war ein Stück, das sie seit langem kannte, denn die deutsche Musiklehrerin an ihrer Schule hatte es geliebt, hatte es oft und mit großer Gefühlsbewegung gespielt. Es war dem «Fräulein» nicht vergönnt gewesen, Harriet das Spielen beizubringen, doch im Verlauf des Scheiterns hatte sie immerhin vollbracht, dass ihre Schülerin zu hören lernte. Harriet sah das Fräulein jetzt deutlich vor sich: ihre stumpfen Züge, das glatte dunkle Haar, die knochigen Finger auf den Tasten. Vor einigen Jahren hatte Harriet auf einmal überraschend einen Brief von ihr erhalten, von der Schule nachgesandt. Das Fräulein dachte mit großer Zuneigung an England zurück. Es war ihr zu Ohren gekommen, dass Harriet jetzt Schriftstellerin war, sie hätte gerne etwas von ihr gelesen. Könnte Harriet ihr wohl, um der alten Zeiten willen, eins ihrer Bücher schicken? Bücher aus England zu bestellen erlaubten ihre Mittel nicht. Die Zeiten waren hart, und besonders für Musiker war es heutzutage schwer, in Deutschland zu leben. «Selbstverständlich», hatte sie noch geschrieben, «bin ich begeisterte Nationalsozialistin.»
    Harriet hatte ihr das Buch geschickt. Und nun saß sie hier und fragte sich, was mit ältlichen Frauen, deren Fähigkeiten in der falschen Vergangenheit wurzelten, wohl geschah, wenn die Zeiten mörderisch wurden. Begeisterte Nationalsozialisten wurden wohl kaum darin unterstützt, polnische Musik zu spielen. Hatte das Fräulein Chopin gespielt, als die Bomben auf Warschau fielen, oder war das Nocturne mit dem letzten Augustabend des vergangenen Jahres endgültig verklungen?
    Da hatte also die alte Schulaula dem Fräulein etwas zu geben. Wie tödlich die Vorzüge Englands waren – als die Musik sich zum Höhepunkt steigerte, begann Harriet, zutiefst aufgewühlt von der plötzlichen Erkenntnis, zu weinen. Ganz leise. Sie nahm die leichten Schritte auf der Treppe nicht wahr. Was sie wahrnahm – und für so unerheblich hielt, als sei es ein abstruser Traum –, war Peters Stimme in ihrem Rücken: «Ob solch Empfangs gibt sich der Kummer stolz … was stimmt nicht, Domina? Ich will nicht hoffen, dass dich deine Fähigkeiten als Codebrecherin reuen – nie hatte eine Gattin elegantere Gelegenheit, sich ohne die Mühsal und die Kosten einer Scheidung des Gatten zu entledigen …» Aber seine Stimme zitterte. Sie stieß den Stuhl zurück und stürzte ihm in die Arme.

    Im Haus war tiefe Stille eingekehrt. Kein Klavierakkord, kein Schritt auf der Treppe, keine Stimme im Flur waren mehr zu hören. Die beiden kamen sich vor wie an Bord der Marie Celeste. Einige Zeit später sagte Peter: «Das kann nicht die Wirklichkeit sein, oder? Lässt du jetzt gleich Miss Twitterton aus einem Schrank treten oder eine Leiche aus dem Keller auftauchen, damit wir wieder festen Boden unter die Füße bekommen?»
    «Du willst Cinderella ihren Zauber nehmen? Wie uncharmant von Euch, Mylord. Ich brauche keine Bühnenutensilien, um zu wissen, dass du echt bist. Obwohl es eigentlich unglaublich ist, wie geschniegelt und gebügelt du hier auftauchst. Bunter sah ziemlich schmuddelig aus, als er wiederkam.» «Schmuddelig? Bunter? O blumer Tag! Das hätte ich zu gern gesehen.»
    Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. «Bitte die Störung zu verzeihen, Mylord, Mylady, aber Superintendent Kirk ist unten», hörten sie Mrs. Trapps Stimme von draußen. «Er ist in überaus erregter Verfassung und wünscht Lady Peter zu sprechen. Ich habe mir nicht erlaubt, Mylord, ihn von Ihrer Rückkehr in Kenntnis zu setzen. Ich dachte mir, Sie würden dies selbst tun wollen.»
    «Peter, wenn du so hysterisch lachst, wird er dich noch hören, und dann ist die Katze aus dem Sack.» «Und für welche Art von Katze, wenn ich fragen darf, hältst du mich? Siam? Einen edlen Perser?» «Für einen ganz gewöhnlichen streunenden Kater, würde ich sagen, mit dem gestreiften Fell eines Gartentigers.» «Der miaut, um gestreichelt zu werden.»
    «Du sollst Milch bekommen und Fisch und unendlich viele Streicheleinheiten. Aber zuerst müssen wir der Polizei bei ihren Ermittlungen helfen. Das ist unsere selbstverständliche Pflicht, im Frieden wie in Kriegszeiten.»
    «Aber Harriet, ich weiß gar nicht, was hier vorgeht. Mir fehlt jeder Anhaltspunkt. Hast du etwa nebenher ein wenig Detektiv gespielt, um die langen müßigen Stunden zu füllen, während ich

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