Wind - Das Bündnis der Elemente (German Edition)
aneinander. „Schaffen Sie ihn nach draußen!“
„Nein!“, wehrte sich Mark, doch er war schon immer körperlich nicht der Stärkste gewesen. Der Assistenzarzt zog ihn auf den Gang und schaffte ihn in eine Ecke, wo noch mehr Patienten oder auch Angehörige saßen. Mark bekam das nicht mehr so genau mit. Sein Denken war vollkommen erlahmt.
Er saß auf einem der Stühle und starrte eine weiße Uhr an, die an der Wand über dem Empfang hing. Hundert Menschen liefen an ihm vorüber und hundert Menschen übersah er. Seine Zeit war stehen geblieben. Nur der kleine rote Zeiger an der Wand durfte sich bewegen. Mehr nicht. Nicht die vielen Patienten in ihren Rollstühlen, noch die Schwestern oder die anderen Menschen in der Station. Nicht einmal er selbst.
Nach einer Stunde beugte er sich nach vorn. Irgendwann rutschte er von dem Stuhl. Er saß da und lehnte mit dem Rücken an der Wand, das Gesicht in den Knien vergraben. Sein Hände hatten sich in seinen Haaren verkrampft. War es ein gutes Zeichen, das sich so lange niemand meldete? Oder doch ein schlechtes?
„Oh Gott.“, flüsterte er benommen. „Nimm ihn mir nicht. Bitte nicht.“ Die Ungewissheit war unerträglich.
„Der Herr hört viele Gebete.“, vernahm er auf einmal eine Stimme neben sich.
„Mit Sicherheit auch Ihres.“
Er sah auf und begegnete dem Blick einer älteren Nonne, die sich auf seinem Platz niedergelassen hatte. Sie lächelte ihn warm an. „Wofür beten Sie?“, wollte sie wissen.
Marks Lippen waren zusammen gepresst. Er hatte die ungewisse Ahnung, dass er, wenn er sie öffnen würde, den Damm seiner Tränendrüse zu brechen. „Meinen Freund.“, sagte er nach unendlich langer Zeit.
Die Nonne hatte die ganze Zeit gewartet. Sie nickte. „Einen jeden von uns ereilt ein Schicksal, dem wir nicht entfliehen können. Haderst du mit Gott, mein Junge?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, Gott trägt keine Schuld daran. Sondern ich allein. Ich hätte merken müssen, dass etwas in meiner Tasche war. Oder Elijah daran hindern sollen, hinein zu fassen.“
„So bist du also allwissend?“, fragte sie, mit noch demselben freundlichen Ton weiter.
Mark hatte weder Kraft, noch Zeit, mit ihr zu diskutieren. „Nein.“ gab er zurück und vergrub sein Gesicht wieder in seinen Armen. „Natürlich nicht. Das ist niemand.“
Einen Moment war es still. „Wie heißt du denn, mein Junge?“, ertönte dann wieder ihre warme Stimme.
„Mark.“, gab er nach einer Weile zurück.
Wieder schwieg sie. Dann öffnete sie die Lippen ein letztes Mal. Leise flüsterte sie: „Guter Gott, kehre ein in dieses Haus und heile all jene, deren Zeit noch nicht gekommen ist. Beschütze Marks Freund Elijah, dass er noch nicht zu dir kommt, denn er wird auf dieser Welt noch gebraucht. Und nimm Mark die Last der Schuld von den Schultern. Amen“
Ihre Worte, obwohl nur leise gesprochen, lösten in ihm eine Katastrophe aus. Er begann zu weinen, als wäre er ein kleines Kind. Doch als er noch klein war, da war Elijah bei ihm gewesen, um ihn in den Arm zu nehmen, um ihn zu trösten oder auch zum Lachen zu bringen, wenn es sein musste. Elijah war sein Vater. Seine Mutter. Manchmal war er auch ein Bruder oder eine Schwester.
„Er ist doch meine Familie.“, stieß er aus. Die Nonne rutschte vom Stuhl und nahm ihn in die Arme. Obwohl sie fremd war wie kein anderer Mensch, strahlte sie die Nähe einer Mutter aus. Bei ihr fühlte er seine Verletzung in vollem Maße. Und er schämte sich seiner Tränen nicht.
Es verging noch eine volle Stunde ehe die anderen im Krankenhaus eintrafen und Mark in den Armen der Nonne fanden. Er fragte gar nicht, wieso auch Collin den Weg hierher gefunden hatte.
„Wissen sie schon...?“, begann Margarete aufgeregt, doch er schüttelte nur den Kopf. Die geistliche Frau ließ ihn frei, drückte noch einmal seine Hand und verließ ihn dann. Mit glasigen Augen blickte er ihrer Habit nach, die um die nächste Ecke verschwand. Ohne seinen Blick abzuwenden zog er Margarete in seine Arme, danach auch Sasha und schließlich Collin, der genauso entrückt wirkte wie Mark.
„Ich habe dir ein Oberteil mitgebracht.“ Margarete zog aus ihrer Tasche ein Hemd, das sie wohl aus Marks Zimmer genommen hatte. „Du solltest dich umziehen. Willst du was essen oder trinken?“
Er starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Mark hatte nicht genug Gedanken beisammen, um zu begreifen, dass Margarete nicht wusste, wie sie mit ihm umgehen sollte. „Nein.“,
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